Henry James - Lady Barbarina

Das Grundmotiv der Werke Henry James ist das "Internationale". Dies ist der Erfahrungshorizont seines Lebens, und dieser gibt die Themen der Dichtung vor, die insofern nicht frei gewählt sind, so der Dichter selbst.

Dessen Leben bewegt sich zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, zwischen Neuer und Alter Welt.

Und das sind wirklich zwei Welten.

 

Geboren im Jahr 1843 in New York reist er schon als Baby mit seinen Eltern nach Europa. Die finanziell gut gestellte Familie lebt in Paris, London und weiteren Großstädten, unterbrochen von diversen Aufenthalten in Amerika.

Henry besucht verschiedene Schulen, lernt Französisch und Deutsch. Im Jahr 1860 kehrt die Familie endgültig in die USA zurück, 1869 reist Henry erstmals eigenständig nach Europa, vor allem Italien begeistert ihn. Nach einigem Hin und Her zwischen den Kontinenten lässt er sich 1876 in London nieder. Er hat seine Wahl getroffen, die Alte Welt "ist das,

was ich brauche, sie ist mein Leben."

1915 nimmt er die britische Staatsbürgerschaft an, ein halbes Jahr später stirbt er in London.

 

Der Roman "Lady Barbarina" rankt sich um die schöne junge Adlige Barbarina Canterville. Sie stammt aus altem Adel, leider gehört auch das Geld des Vaters eher der Vergangenheit an, sprich: es hat sich verflüchtigt. 

Seine älteste Tochter ist bereits gut verheiratet, als Lady Beauchemin führt sie ein standesgemäßes Leben.

 

Um die zweite Tochter, Lady Barb, bemüht sich Jackson Lemon. Der junge, sehr vermögende Arzt, ein Amerikaner, ist von seinem Leben, seinem Auftreten, seinem Selbst sehr überzeugt - am Beginn seiner Werbung um Lady Barb.

Doch je weiter er in die Geheimgänge des englischen Adels eindringt, desto unsicherer wird er.

 

Schon die Tradition eines Ehevertrages ist Jackson vollkommen fremd. Er lehnt einen solchen rundweg ab.

Doch Lady Beauchemin klärt ihn auf:

"Er müsse Nachsicht haben mit ihnen (den Eltern), müsse bedenken, dass, was man von ihm verlangte, bei ihnen seit Jahrhunderten Brauch sei."

Schließlich fügt sich Jackson und lässt seinen Anwalt einen Vertrag mit der Familie seiner Angebeteten aufsetzten - ohne ihn hätte keine Aussicht auf eine Eheschließung bestanden.

 

"Er spürte mehr denn je, welchen Wert sie in sich besaß und wie viel es die Gesellschaft gekostet hatte, solch eine Mischung hervorzubringen. Schlicht und mädchenhaft, wie sie war, und nicht besonders gewandt in dem Geben-und-Nehmen der Konversation, schien doch in ihren Adern ein Teil von Englands Geschichte zu fließen; sie war die schöne Blüte, die Generationen von Privilegierten und Jahrhunderte reichen Landlebens hervorgebracht hatten."

 

Die Schwierigkeiten, englische Traditionen und amerikanisches Selbstverständnis in Einklang zu bringen, werden an dieser Hürde, die vor der Ehe liegt, aufgezeigt.

Und der Vertrag ist nur einer von vielen Fallstricken, die überall ausliegen, geeignet, einen jungen Mann ins Trudeln zu bringen.

Schon sein Beruf - welcher Gentleman beschäftigt sich mit anderen Dingen als der Jagd oder der Politik?

Er muss lernen, dass altes Geld mehr wert ist als neues.

Und: "Er glaubte von sich, er handele stets aus seinem eigenen Willen und Wahlvermögen, ein Element seiner Ausrüstung, in das er größtes Vertrauen hatte."

Auch dieses Vertrauen wird beschädigt werden.

 

Und doch: die beiden heiraten. Lord und Lady Canterville übergeben ihre Tochter Barbarina an Jackson Lemon.

Das junge Paar wird in New York leben.

 

Die Stadt langweilt Lady Barb unendlich.

Nach kurzer Zeit möchte sie nicht mehr ausgehen, und auch nicht mehr empfangen. Die Frauen sind ihr zu laut, die Herren - von diesen will man gar nicht erst reden.

Sie verfällt in eine fast schon demonstrative Passivität,

mit der sie zum Ausdruck bringt, wie sehr sie alles verachtet.

Das schöne Haus, die Möglichkeiten, sie sich ihr bieten, und die sie nicht interessieren.

 

Ganz im Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester Lady Agatha. Sie kommt zu Besuch und ist hingerissen.

"Was sie in Amerika genoss, war die Freiheit - eine Offenbarung - , und nichts stellte solch einen Beweis von Freiheit dar, wie sich völlig schrankenlos zu unterhalten mit einem Herrn, der, wenn er sich nicht in New York aufhielt, rohe Tierhäute trug und bei seinen üblichen Beschäftigungen nicht nur sein eigenes Leben riskierte, sondern auch Verantwortung trug für das von anderen."

Lady Agatha hat sich in den Kalifornier Herman Longstraw verliebt, und nichts und niemand kann ihr diesen prächtigen Mann ausreden. Schon gar nicht irgendwelche Traditionen.

 

Lady Agatha stürzt sich kopfüber in das neue und freie Leben. Sie ist der Gegenpart zu Lady Barbarina, die eine "sehr aristokratische Aristokratin" ist.

 

 

Was aber diesen Roman so außergewöhnlich macht, ist die Erzählweise von Henry James. Sie ist sehr subtil, feinsinnig und doppelbödig.

Im ersten Satz berichtet ein Erzähler von zwei Personen, die an einem schönen Juninachmittag im Hyde Park sitzen und die Leute beobachten. "Wenn ich mich nicht irre,..." sagt besagter Erzähler daraufhin und spricht kurz darauf auch sich selbst und den Leser als ein "wir" an.

 

Der Erzähler ist traditionell derjenige, der die Geschichte kennt. Der den Leser Stück für Stück aufklärt, die verschiedenen Sichtweisen der handelnden Personen darlegt und auf den Verlass ist. Doch dieser Erzähler hier gibt zu, dass er sich irren könnte. Der als ein "Ich" plötzlich Teil der Geschichte wird und somit seinen schwebenden Posten als alleswissender Erzähler verlässt.

 

Wie das im Park beobachtete Ehepaar, Mr. and Mrs. Freer, ebenfalls zwischen den Kontinenten pendelnde Amerikaner (und immer begierig auf den neuesten Klatsch), erscheint der Erzähler als der "eingeborene Fremde" - als solche betitelt er die Freers.

Er gehört dazu und ist gleichzeitig außen vor. 

Die Freers "interessierten sich vor allem für Menschen...und gaben sich ohne Zweifel alle Mühe, mit den Angelegenheiten anderer vertraut zu sein."

 

Es findet sich im ganzen Buch keine Schilderung einer Stadt oder Landschaft, keine Interieurs oder Kunstsammlungen werden beschrieben. Dafür die Figur, die ein Reiter macht, 

die Gesichtszüge eines Menschen, sein Wesen, das sich im Äußeren zeigt. Der Erzähler ist ganz auf die Menschen konzentriert, hütet sich aber im Gegensatz zu jenen, die so gerne tratschen, davor, sich auf irgendjemandes Seite zu schlagen. Er legt ihre Standpunkte dar und wahrt jedem gegenüber eine Distanz, die sich in freundlicher Ironie zeigt.

 

Der Roman ist die Geschichte einer Ehe, eines Aufeinander-treffens zweier Weltsichten und er ist eine Schule des Sehens.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Henry James: Lady Barbarina

Übersetzt von Karen Lauer

Dörlemann Verlag, 2017, 224 Seiten

(Originalausgabe 1908)