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Oktober 2023

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Jane Campbell: Kleine Kratzer

Diese vierzehn Erzählungen sind das Debüt der 1942 geborenen Schrift-stellerin. Alle Heldinnen ihrer Storys sind jenseits der siebzig – alleine das ist eine Seltenheit in der Literatur.

Sie wehren sich dagegen, auf das Abstellgleis geschoben zu werden, weil sie nicht mehr „nützlich“ sind. Sie sind selbst überrascht, wie spät im Leben die Liebe kommen kann, vielleicht sogar zum ersten Mal, nach Jahrzehnten neben einem Ehemann und mit Kindern. Überraschend auch manchmal für die Frauen selbst, dass sogar Begehren sich einstellen kann, man hatte gelernt, ohne dieses Gefühl auszukommen. Sie sind nicht die guten Geister, die dem Leben entsagt haben, nehmen noch immer Korrekturen an ihrer Denkweise vor, verschließen sich nicht dem Unerwarteten. Mit hintergründig-abgründigem Humor legt Jane Campbell die verkrusteten Denkweisen frei, die noch immer, aller Aufklärung und Toleranz zum Trotz, ein völlig falsches Bild vom Alter pflegen.

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Felix Heidenreich:

Der Diener des Philosophen

Der Diener des Philosophen Immanuel Kant, Martin Lampe, scheint ein Trottel zu sein. Weit gefehlt. Er bringt den Denker immer wieder in Erklärungs-nöte. So entwickelt sich ein merkwür-diges Gespann, zu dem noch ein Dritter gehört: Ehregott Wasianski, Freund und erster Biograph des Philosophen. Er hat eine ganz eigene Vorstellung von dem Bild, das von Kant bleiben soll... Der bestens komponierte Roman, der Fakten und Phantasie trefflich ineinander webt, handelt von Unvorhersehbarkeiten, Unerklärlichem, Schwäche und Eitelkeit, von den Abgründen des Zeitalters des Lichts und der Aufklärung. Er ist ein herrliches Stück über die (komische) Tragödie des Menschseins und nicht nur für Philosophiekenner ein herrliches, den Geist kitzelndes Vergnügen.

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Bernhard Strobel:

Der gute Mann Leidegger

Leidegger möchte gern ein guter Mann sein. Einer, der sich von den alten Vorstellungen von Männlichkeit gelöst hat, der ohne Lüge leben, aus Klischees ausbrechen und eine standhafte Moral haben möchte. Schwierig, schwierig, wenn man ein "Affärenbetreiber" ist und ständig Angst davor hat, dass das ganze Kartenhaus einstürzt. Der hochkomische Roman, der an keiner Stelle in den Klamauk abflacht, ist eine Aneinanderreihung von witzigen Szenen, die zeigen, wie sich der gute Mann immer mehr verstrickt. Er ist die humorigste Auseinandersetzung mit der toxischen Männlichkeit, die man sich vorstellen kann.

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Huguette Couffignal: 

Die Küche der Armen -

Mit 300 Rezepten aus aller Welt

Kein Kochbuch im herkömmlichen Sinne mit Hochglanzfotos von raffinierten Gerichten ist diese Studie, die soziologische, historische, kulturelle und ernährungswissen-schaftliche Aspekte vereint, und dabei so interessant zu lesen ist, dass sie einem Reisebericht gleicht! Huguette Couffignal schaut in Töpfe aller Kontinente und erkennt den Mangel als Hauptmerkmal der Armenküche - an Wissen, Beobachtungsgabe und einem eleganten Stil mangelt es der Autorin nicht.

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Sara Wegmann: Sirma

Sirma ist ein Mädchen, das ausschließlich in Filmzitaten spricht. Um dieses Problem zu beheben, wird sie von ihrem Dorf in Pakistan nach Zürich geschickt. Sie lebt bei der gleichaltrigen, stummen Alexandra und ihrer Familie - Sprache und Sprachlosigkeit zwischen Menschen und Kulturen sind die Themen des außergewöhnlichen Romandebüts. Aber auch Zeit und Geschwindigkeit werden bedacht in dieser Geschichte, deren dritter Teil in Hongkong spielt. Die Suche nach einer eigenen Sprache und Stimme, nach einer inneren Heimat, auch in einem Willkürstaat, beschreibt Sara Wegmann, geb. 1985, sprachlich und formal sehr überzeugend. Und auch sehr berührend.

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Sofia Yablonska:

China, das Land von Reis und Opium

Mit Mitte zwanzig reist die Schriftstellerin und Fotografin Sofia Yablonska 1932 im Auftrag einer französischen Filmgesellschaft nach China. Sie wohnt nicht in abgesicherten Bereichen, als "erste weiße Frau" lebt sie allein in einem chinesischen Viertel Yunnans, von dort aus unternimmt sie gefährliche Fahrten in die Berge. Sie will Leben, Gewohn-heiten, Kunst und Glaube der Chinesen verstehen - nicht um sich selbst zu finden reist sie. Ihre Beobachtungen hält sie mit der Kamera fest (die hier abgedruckten Fotos zeugen von ihrem genauen Blick) sowie in ihrem Travelogue, einer Vereinigung von Reisebericht, Tagebuch und Essay. Man taucht tief in ein in ein Land, das Europa noch immer fremd ist, und man kann die Autorin für ihren Mut, ihre Unvoreingenommenheit und ihren immer wieder rettenden Witz nur bewundern.

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