_____________________________________________________
Oktober 2017
_____________________________________________________
Yi Meng Wu: Yaotaos Zeichen
Die kleine Lucie findet auf dem Dachboden ihrer Großeltern einen alten Koffer. Kaum geöffnet, entflattern diesem chinesische Schriftzeichen -
ob der Koffer wohl ihrem Urgroßvater Yaotao gehört hat, der als junger Mann nach Lyon kam?
Die Zeichen nehmen Lucie mit auf eine Reise in die Vergangenheit und erzählen von Yaotao, seiner Frau Laurence, dem Sohn Francois-Hua, ihrem Leben in Lyon und dem in Peking, wohin die junge Familie zog, als es Yaotaos altem Vater sehr schlecht ging. Die Zeichen erzählen vom chinesisch-japanischen Krieg, der Rückkehr nach Frankreich 1940, das sich ebenfalls im Krieg befindet und den Schwierigkeiten, in den Alltag (zurück) zu finden.
Die Geschichte einer doppelten Emigration, das Leben in zwei Kulturen, das zutiefst menschliche Suchen nach Liebe unabhängig von jeder Kultur - dies sind die Themen des Buches, das auf zwei Arten erzählt wird. Einmal in Worten und ein weiteres Mal in Bildern.
Mit den aufwendig gestalteten Collagen erzählt Yi Meng Wu ebenso eindringlich von Aufbruch und Ankommen, Exil und Heimat, Trauer und Hoffnung. Das Buch bietet damit zwei Ebenen, auf der eine doppelte Geschichte erlebt werden kann, das ist etwas ganz Besonderes.
Gerdt Fehrle:
Wie Großvater den Krieg verlor
Ein "Knabe" ist der Adressat vieler kleiner Geschichten, die den Roman zusammensetzen. Der Knabe hat sie von den beiden Großvätern gehört,
die beide Otto heißen und durch das angehängte Geburtsjahr unterschieden werden. Otto Nullacht und Otto Elf nehmen das Kind mit auf Spaziergänge und berichten von der Zeit vor dem Krieg, diesem selbst, seinem Ende und der schwierigen Nachkriegszeit. Ergänzt werden die Geschichten durch
einen Erzähler, der aus den Puzzleteilen ein Bild formt.
Dieses zeigt auf fesselnde und authentische Art, wie erschütternd die Erlebnisse in der Vergangenheit waren,
wie tief sie in den Köpfen verankert sind und noch an die Enkelgeneration weitergegeben werden. Fehrle gelingt ein vielstimmiger Roman, der den Charme des mündlichen bewahrt hat und gleichzeitig die Gestaltungsmöglichkeiten der Literatur nutzt. So ist der Roman Familiengeschichte
und Ab-Bild einer Zeit, die zugleich weit zurückliegt und doch sehr nah da ist.
Henry James: Lady Barbarina
Der sehr vermögende Jackson Lemon,
ein amerikanischer Arzt, verliebt sich in
die schöne, aus altem englischem Adel stammende Lady Barbarina. Schon vor der Eheschließung tut sich manches Hindernis auf, das den verschiedenen Traditionen der Alten und Neuen Welt geschuldet ist.
Der Umzug nach New York stürzt die junge Ehe bald in eine Krise, denn Lady Barb fehlt einfach alles, was ihr Leben ausmachte. Im Gegensatz dazu greift ihre Schwester Agatha, die sie begleitet, sämtliche Möglichkeiten am Schopf und stürzt sich kopfüber ins freie Leben.
James beschreibt das Aufeinandertreffen der Kulturen sehr feinsinnig, ohne sich auf eine Seite zu schlagen und mit viel freundlicher Ironie und Sympathie für seine Geschöpfe.
Vicente Valero: Die Fremden
Vicente Valero spürt vier "fremden Verwandten" seiner Familie nach.
Es sind Männer, die früh weggingen und niemals wieder ganz nach Hause zurückkehrten. Weil sie, wie Ramon Chico, nicht aus dem Exil zurück kommen konnten, oder, wie Carlos Cevera, auch nach Jahrzehnten nicht in die Inselgesellschaft passten.
Aus "Schatten" und "Erinnerungslandschaften" setzt Valero mit großer poetischer Kraft und viel Vorstellungsvermögen ein Bild seiner Familie zusammen, das sehr bewegend die einzelnen Personen, wie auch die Zeitläufe, aufzeichnet.
Émilie de Turckheim: Popcorn Melody
Tom hat Literatur studiert, doch nun betreibt er einen kleinen Supermarkt.
Er verkauft nur das Allernötigste, nimmt nebenbei aber auch noch auf dem alten Barbierstuhl seines Vaters die Sorgen der Dorfbewohner ab. Er schreibt Haikus in Telefonbücher und versucht in der Steinwüste irgendwo in der amerikanischen Provinz zu überleben. Das wird noch schwieriger, als direkt gegenüber ein großer Supermarkt eröffnet. Der Besitzer: Buffalo Rocks, eine Popcorn Fabrik und der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Ausgestattet mit unglaublichem Humor und voller Selbstironie meistert Tom sein Leben. Doch es geht in diesem mit vielen schrägen Charakteren bevölkerten Roman nicht nur um Tom, es geht auch um Recht, Gerechtigkeit, Würde, Freundschaft und die Liebe.