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November 2019
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Ian McEwan: Die Kakerlake
Jims Sams hat nur ein Ziel: er will den "Reversalismus" einführen. Diesem Ziel dient er mit jeder Faser seines Körpers, so sehr, dass er bald kaum noch weiß, wozu diese neue Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung gut sein soll.
Egal - er will den Willen des Volkes umsetzten und Großbritannien in die Freiheit führen. Ganz unverkennbar handelt es sich beim Premierminister Sams um Boris Johnson, das Pikante: Sams ist eigentlich eine Kakerlake,
die in die Downing Street geraten ist, sich wie Kafkas Held Gregor Sams verwandelte und dort plötzlich die Fäden der Macht in der Hand hält. McEwans Politsatire spielt mit der Realität und beschreibt einen Wahn, der sich Realpolitik nennt. Der Roman garantiert ein fieses Lesevergnügen.
Dorothea Dieckmann: Kirschenzeit
Eine Mutter reist nach Colmar, um dort ihre erwachsene Tochter zu treffen. Bilder aus einer ersten Reise dorthin, Erinnerungen an die Vergangenheit, blitzen auf, legen sich zwischen die Bilder der Gegenwart. Den Isenheimer Altar mit seinen Schreckensbildern möchten die beiden gemeinsam besichtigen - begleitet werden sie von einer Erzählerin, die als ein "Ich" mit dabei und zugleich außen vor ist. Die Erzählerin schafft ein eindringliches Wort-Bild, in dem, wie auf einem Gemälde, jeder Pinselstrich bzw jedes Wort, wichtig ist, jedes Detail eine Bedeutung hat, die sich in der Zusammenschau mit anderen Details vervielfacht. So wird aus der Mutter-Tochter-Geschichte ein weiträumiges Bild, das die Frage nach der Möglichkeit eines "zweiten Blicks" stellt.
Damir Karakas:
Erinnerung an den Wald
Der Held des Buches ist ein heran- wachsender Junge, der in kurzen Episoden aus seinem Leben erzählt. Direkt und ungefiltert strömen seine Worte, er ist vom Schicksal mit einer Herzkrankheit geschlagen, aber er hat auch sehr viel Phantasie und findet eine innere Heimat in der Sprache.
Der Roman spielt in einem kroatischen Dorf, in dem noch Ochsengespanne fahren, aber auch schon Fernseher Einzug halten - in der Übergangszeit also, in der jedoch die patriar-chalischen Strukturen noch die alten sind. Kein leichtes Umfeld für ein kluges Kind, das auf körperliche Stärke setzt, um seinen Vater stolz zu machen.
Jeanne Benameur:
Das Gesicht der neuen Tage
Der Kriegsreporter Étienne wird entführt. Nach einigen Monaten kommt er frei (getauscht? freigekauft? - auf jeden Fall zur Ware geworden), kehrt zurück ins Haus seiner Kindheit in einem französischen Dorf, zu seiner Mutter und dem alten Freund Enzo. Jeanne Benameur zeichnet Étiennes Weg zur inneren Freiheit nach, intensiv, sensibel, mit großer Empathie, in einer klaren und ganz eigenen Sprache. Im Zusammensein mit Jofranka, der Dritten im Bunde von damals, wird ihm klar, dass es ein zurück nicht geben kann, er muss ein neues Leben "erfinden".
Aus dem alten mit hinübernehmen kann er die Liebe zur Natur und zur Musik.
Franz Hessel: Heimliches Berlin
Die unterschiedlichsten Charaktere tanzen einen Reigen miteinander in diesem poetischen Berlin-Roman von 1927. Der gelehrte Philologe Clemens, seine sehnsüchtige Frau Karola, der verarmte Adelige Wendelin - diese drei Personen bilden den Mittelpunkt.
Um sie herum bewegen sich diverse Figuren, allesamt konturiert gezeichnet, mit wenigen Worten charakterisiert - alle sind auf der Suche nach dem Glück und der Liebe. Hessels Roman zeichnet sich durch eine schwebende Leichtigkeit aus, durch eine sehr ausbalancierte Sprache - das "Gewicht der Worte" ist für ihn kein "Schall", Worte sind ein "Zauber" - sein Roman ist ein ungewöhnliches und zauberhaftes Stück, in das man sich verlieben kann.