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MAI 2024
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Dacia Maraini: Tage im August
Heldin des 1962 erschienenen Debütromans Dacia Marainis ist die vierzehnjährige Anna. Sie lebt mit ihrem jüngeren Bruder in einem Nonneninternat in Rom, da ihre Mutter verstorben ist. Nun holt ihr Vater die Kinder ab, um einige Wochen mit ihnen am Meer zu verbringen. Anna ist fest entschlossen, endlich die Freiheit des Lebens jenseits der Internatsmauern kennenzulernen. Sie verweigert sich keiner Erfahrung, lässt sich auf Annähe-rungsversuche von Jungs und Männern ein, schaut dabei jedoch sehr distanziert und gleichgültig sich selbst zu, als sei sie sich eine Fremde. Ein verstörende Heldin - der Roman löste 1962 einen Skandal aus - in der der Nukleus aller großen Frauen liegt, die Dacia Marainis Werk auszeichnen.
Lilia Hassaine: Bittere Sonne
Fünf Jahre nachdem Said nach Paris ging, um dort in der Autoindustrie zu arbeiten, kann er seine Frau Nadscha und die drei Töchter nachholen. Die Hoffnungen Nadschas zerschellen schnell an den Verhältnissen, in denen sie nun lebt. Zwar ist das Zusammen-leben mit den anderen Familien in einem der neuen Sozialbauten der Banlieue noch von Solidarität geprägt, doch die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig. Noch schwieriger ist die Zerrissenheit zwischen den Traditionen und den Versprechen und Verlockungen des modernen Frankreich. Von den Sechzigern bis in die achtziger Jahre spannt sich dieser Familienroman, der sich zu einem aufschlussreichen Gesellschaftsporträt entwickelt. Lilia Hassaine zeichnet lebendige Figuren, die alle um ihr Leben kämpfen. Die Umstände stehen der Erfüllung ihrer Wünsche diametral entgegen.
Michela Murgia: Drei Schalen
In zwölf locker miteinander verbundenen Geschichten erzählt Michela Murgia von existenziellen Veränderungen, denen ihre Held:innen sich stellen müssen. Manchmal gehen sie Wege, die verrückt aussehen, manchmal suchen sie ganz stille Lösungen. Sie alle betreten ein persönliches Neuland, in dem es weder richtig noch falsch gibt - das Leben muss sich neu ordnen. Auch wenn die Autorin von Krankheiten, Tod oder Verlassenwerden erzählt, haben die Erzählungen nichts Erdrückendes, im Gegenteil, sie sind ermutigend in ihrer Ehrlichkeit.
Vohla Hapeyeva: Samota -
Die Einsamkeit wohnte im Zimmer gegenüber
Von Einsamkeit und Stille, der Natur und dem Umgang der Menschen mit dieser, erzählt der Roman, in dessen Mittelpunkt die Vulkanologin Maja steht. Außerdem erzählt er von Empathie und davon, dass Sprünge möglich sind, die die Logik nicht vorsieht. Davon, dass sich Kreise nach Jahrzehnten schließen können und die Idee der Zeit, wie auch die von Realität, ein fragliches Konstrukt ist. Der kluge und warmherzige, nachdenkliche und vielfältige Roman wartet mit mancher Überraschung auf, denn Volha Hapeyeva scheut sich nicht, die magische Seite des Realismus in ihren Roman einzuflechten. Im innersten Kern ist er ein Plädoyer für das Mitgefühl.