Die neuesten Empfehlungen
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Juni 2023
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Milena Michiko Flasar:
Oben Erde, unten Himmel
Dieser Roman um die Hauptfigur Suzu spielt im Milieu der "Leichenfundort-reiniger" in einer japanischen Großstadt. Kann eine solche Geschichte leicht, sogar heiter sein? Ja, denn die tägliche Begegnung mit dem Tod bringt die sehr zurückgezogen lebende Mittzwanzigerin dazu, sich den Menschen und dem Leben zuzuwenden. Ein weiterer Roman Milena Michiko Flasars, der ein gesellschaftliches Phänomen aufgreift, und daraus mit Empathie und Schalk, aber ohne Kitsch und Pathos, eine ganz persönliche und berührende Geschichte macht.
Andrea Hahn: Goethe in Schwaben
Zwei Mal reiste Johann Wolfgang von Goethe durch Schwaben, 1779 als Begleiter des Herzogs Carl August von Weimar, im Jahr 1797 alleine. War die erste Reise noch von höfischem Protokoll geprägt, konnte Goethe bei seinem zweiten Aufenthalt seinen persönlichen Interessen nachgehen, diese waren unendlich. Es gibt kaum etwas, für das er sich nicht interessierte, was Andrea Hahn Gelegenheit gibt, über die verschiedensten Aspekte des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu berichten. In dem bestens recherchierten Büchlein kommen Zeitgenossen Goethes zu Wort, sie geht auf die Kunst- und Sozialgeschichte ein, auf bedeutende Männer, die Freundschaft zu Schiller, den Wunsch, die Welt zu gestalten. Andrea Hahn zeigt den Privatier Goethe, eingebettet in den historischen Kontext - das Buch ist auch ein schöne Einführung in das Thema Goethe, seine räumliche Begrenzung zieht keine geistige nach sich.
Michel Pastoureau: Alle unsere Farben
Der Historiker Michel Pastoureau unternimmt in seinem glänzend geschriebenen Essay eine Reise in die schillernde Welt der Farben. Er verbindet persönliche Erinnerungen mit historischen Fakten, verfolgt Spuren durch die Jahrhunderte und arbeitet die Verbindung von individuellem Farbempfinden mit den darunterliegenden gesellschaftlichen Codes heraus. Das Buch ist weiträumig, informativ, gut lesbar und unterhaltsam, es bringt Licht ins Dunkel. Die unzähligen Aspekte verbinden sich zu einem bunten Bild der Welt, man sieht sie hernach mit anderen Augen.
Esther Kinsky: Weiter Sehen
Die Erzählerin hegt eine große Leidenschaft für das Kino. Dieser Ort der gemeinsamen Erfahrung, der Verständigung und auch der Magie, steht exemplarisch für das WIE des Sehens und des Weiter Sehens über das eigene Wohnzimmer hinaus. Sie wagt es, an einem kleinen Ort in Südungarn ein verlassenes Kino wiederzubeleben, sie versucht es. Diese persönliche Geschichte ist eingebettet in die Entwicklungen der Gesellschaft. Das Buch erzählt auf verschiedenen Ebenen von Menschen und ihrer Wahrnehmung der Welt, von Standortbestimmungen und der Bereitschaft, das Mögliche zu denken.
Lina Meruane: Nervensystem
Die Protagonistin, eine Physikerin, kämpft nicht nur mit ihrer Doktorarbeit und den Geistern der Vergangenheit, sie kämpft auch gegen eine rätselhafte Krankheit. Diese ist der Anlass, sich mit den Krankheiten ihrer Familie zu beschäftigen und dabei all den Fäden nachzuspüren, die die Menschen wie ein Netz verbinden.
Lina Meruane verknüpft sehr geschickt die persönlichen Schicksale mit der Geschichte verschiedener Länder, denn Krankheiten und Traumata wüten in den Menschen und der Gesellschaft. Die Gewalt durchzieht die Jahrhunderte, so, wie das Nervensystem einen Menschen.