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Januar 2024
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Fatou Diome:
Was es braucht, das Leben zu lieben
Vom Schicksal oder Alltag gebeutelte Menschen sind die Helden Fatou Diomes. Doch sie beschreibt ihre Stärke, die Kraft der Freundschaft und die Magie der Literatur. Von Anfang an entwickelt sich ein Sound, der den Aussagen die Schwere, nicht aber ihr Gewicht nimmt. Die Autorin hat einen ganz eigenen Stil, der Charme mit ungeschnörkelter Offenheit paart und den zehn Erzählungen eine unerwartete Heiterkeit verleiht.
René Fülöp-Miller:
Die Nacht der Zeiten
Der 1955 erstmals publizierte Roman nimmt eine Schlacht des Ersten Weltkriegs als Ausgangspunkt für einen Roman über den Krieg an sich. Gegen die Elemente der Natur kämpfen, über Befehle nicht nach-denken, sondern sie ausführen, den Tod entindividualisieren, Hunger und Durst ertragen wie eine nicht mit Vernunft zu bekämpfende Bürokratie der Amtswege, die eigene Menschlichkeit Stück für Stück aufgeben - der Roman beschreibt eindrücklichst, was der Krieg mit und aus den Menschen macht. Eine Feststellung wie "Kriege sind nur für den Tod da" und viele weitere Aspekte heben den Roman ins Überzeitliche. Am Ende defilieren die Kriegstoten aller Zeiten, aller Länder in einer Vision am Ich-Erzähler Adam Ember vorbei, ihre Kriegsgesänge werden abgelöst von den Klagen und Anklagen der Frauen. In einem Nachklang finden sich Fingerzeige, die bis in unsere Gegenwart reichen - das uralte Menschheitsthema `Krieg´ wird in "Die Nacht der Zeiten" zwischen Realität und Mythos in all seinen Facetten all seines gefährlichen Glanzes beraubt.
Georgi Tenev:
Christo und die freie Liebe
Der Ich-Erzähler, ein Bulgare wie Christo, soll in New York ein Interview mit dem berühmten Verhüllungs-Künstler machen. Dessen lebenslanger Liebe zu Jeanne-Claude, im Roman heißt sie Pilar, steht die Idee der freien Liebe des Erzählers diametral entgegen - oder doch nicht? Der Roman, der sich den Themen Freundschaft, Liebe, Treue, Verrat, Schicksal und der Frage nach dem Alten und Neuen Menschen widmet, erkundet das Leben des Erzählers und die vielleicht letzte Utopie: die Liebe. Und wie diese mit der Idee von Freiheit harmonieren kann... Ein schmaler Roman, der weite Flügel ausbreitet und ein fantasievolles und enthüllendes Spiel treibt.
Saskia Winkelmann: Höhenangst
Die achtzehnjährige Ich-Erzählerin lebt bei ihrer Mutter, absolviert lustlos ihr letztes Schuljahr, hat keine Freunde. Am liebsten ist sie alleine im Mittelmeerhaus des Botanischen Gartens. Alles ändert sich, als Jo in die Klasse kommt. Sie ist unabhängig, macht ihr eigenes Ding, hat keine Angst. Die beiden werden enge Freundinnen, die zusammen einen illegalen Keller besuchen, tanzen, Drogen nehmen, sexuelle Erfahrungen sammeln. Bis alles aus den Fugen gerät. Die Erzählerin versucht im Nachhinein zu rekonstruieren, was passiert ist. Nicht nur an jenem Tag, sondern in der Zeit mit Jo. Der Roman erzählt von der Suche zweier jungen Frauen nach einer Welt, die sie leben lässt, die ihnen Raum gibt, sich zu entwickeln. Er erzählt klug und eindrücklich vom Springen und vom Fallen, den "zwei Arten von Höhenangst".
Maria Kuncewiczowa: Zwei Monde
Die zwei Monde symbolisieren die unterschiedlichen Welten, die im polnischen Städtchen Kazimierz Dolny in den Jahren der Zwischenkriegszeit zusammentreffen: Die der Einheimi-schen und Sommerfrischler, die der Christen und Juden, der Armen und Reichen, der Männer und Frauen. Maria Kuncewiczowa (1895-1989) lebte viele Jahre dort, bezaubert von der Vielfalt und Eigenartigkeit der Stadt. In den zwanzig Geschichten, aus denen der Roman besteht, werden Stadt, Umland, der Weichselstrand und all die vielen verschiedenen Menschen, die dort leben und arbeiten oder sich vergnüglich tummeln, lebendig. Ihr Blick ist klar, sie errichtet keine Idylle, zeichnet deutlich die unterschiedlichen Möglichkeiten aufgrund des Geschlechts, der sozialen Stellung und der Religion auf. Doch sie wählt einen poetisch-leichten Ton, lässt den Blinden, die Schneiderin oder die Bettlerin so lebendig werden wie den Herrn Rechtsanwalt oder die diversen Maler, die der Faszination des Ortes ebenso erlagen wie die Schriftstellerin selbst.