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Februar 2018 - Zeit - Geschichte
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Agota Kristof: Das große Heft
Um ihre Kinder vor dem Krieg zu schützen, bringt eine Mutter ihre Zwillinge, ca. neunjährige Jungen, zur Großmutter aufs Land. Diese ist nicht etwa gütig, die Jungen müssen sich dort ihr Essen und ihre Unterkunft selbst verdienen und verrichten bald sämtliche Arbeiten auf dem Hof.
Doch das ist längst nicht alles: sie lernen lügen, stehlen, betteln, hungern und töten - alles, was man zum Überleben in Kriegszeiten braucht. Und vielleicht nicht nur in diesen Zeiten. Die Kinder haben einen unbändigen Lebenswillen, sie sind mutig und scheinen über einen unberührbaren Kern zu verfügen, der sie das alles aushalten lässt. Agota Kristof erzählt in kurzen Abschnitten klar und schnörkellos, vor allem ungeschönt, von diesen jungen Leben und ihrem Ringen um Zukunft.
Niroz Malek:
Der Spaziergänger von Aleppo
In 57 Miniaturen denkt Niroz Malek über das Leben in seiner Heimatstadt Aleppo nach. Er ist nicht geflohen,
mit dem Zurücklassen seiner Bücher, Schallplatten und anderer Kunst-gegenstände hätte er seine Seele zurückgelassen. So bleibt er und schreibt auf, was er sieht, hört, träumt. Damit zeichnet er sein persönliches Bild einer zerstörten Welt. Als eine Art Chronist der Überlebenden oder des Überlebens ermöglicht er mit seinem poetischen Werk einen ganz anderen Einblick in diese Welt, als ein Bericht in der Presse dies je könnte.
Iwan Bunin: Verfluchte Tage,
Ein Revolutionstagebuch
Bunin (1870-1953) beschreibt in
seinem literarischen Tagebuch die Zeit zwischen Januar 1918 und Juni 1920.
Er erlebt die blutige Revolution in Moskau und in Odessa mit, er ist angewidert von der ausufernden Gewalt und er ist entsetzt über die Kulturkatastrophe, die die Revolution bedeutet. Sie ist für ihn eine Vernichtung jeglicher geistigen Freiheit, da sie freies Schaffen und Schöpfen unmöglich macht. In anekdotischen Miniaturen beleuchtet Bunin die chaotischen Entwicklungen und vollzieht damit literarisch nach, was in der Realität vor sich geht. Körperlich, geistig und seelisch erschöpft, kann er Russland 1920 verlassen,
er lebt fortan in Frankreich. 1933 bekommt er als erster russischer Schriftsteller den Nobelpreis, was ihn nicht davor bewahrt, in Vergessenheit zu geraten. "Verfluchte Tage" legt Zeugnis davon ab, dass Literatur Zeitzeugnis sein, und zugleich die Zeiten überdauern kann. In seiner Genauigkeit und Fülle ist es ein einzigartiges Dokument, sein Stil,
seine Tiefe und seine sprachliche Vielfalt machen es zu großer Literatur.
Arthur Miller (Text) & Franziska Neubert (Illustrationen): Fokus
Das Leben Lawrence Newmans,
eines Mannes von knapp fünfzig Jahren, verändert sich schlagartig als dieser eine Brille bekommt. Plötzlich sieht er aus wie ein Jude, d.h. plötzlich gehört er nicht mehr dazu. Er verliert seine Arbeit, sein Ansehen, ist Anfeindungen ausgesetzt, schließlich gewalttätigen Übergriffen. Im Lauf der Zeit verschafft ihm die Brille jedoch einen genaueren Blick auf die Realität, als er ihn jemals hatte. Dieser setzt einen Entwicklungsprozess in Gang, der ihn erkennen lässt, dass es nicht wichtig sein sollte, zu "welcher Rasse ein Mensch gehörte." Der 1945 erschienene und im letzten Kriegsjahr in New York spielende Roman bricht mit einem Tabu: er thematisiert den Antisemitismus in Amerika und er ist heute noch immer oder wieder von erschreckender Aktualität. Daneben ist er ein glänzendes literarisches Werk, das mit einer dichten Struktur sehr tief in die Seele eines Individuums und die einer Gesellschaft hineinführt.