Im August möchte ich mit Ihnen nach Frankreich reisen!
Und noch einen kleinen Abstecher nach Großbritannien unternehmen:
Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann
Mit siebenundvierzig Jahren beschließt Laura, von der Familie Tante Lolly genannt, dass es Zeit ist, ein eigenständiges Leben zu führen. Als unverheiratete Schwester lebte sie im Haushalt ihres Bruders, nun zieht es sie aufs Land. In Great Mop mietet sie eine kleine Bleibe und genießt dort "überirdische Zufriedenheit". Bis ihr Neffe auftaucht und ganz selbstverständlich annimmt, Tante Lolly werde sich um sein Wohlergehen kümmern. Doch Laura will nicht zurück in die alten Ketten - und verbündet sich mit dem Teufel selbst, um Titus loszuwerden. Der Gesellschaftsroman nimmt damit eine phantastische Wendung - unter dem Deckmantel des Märchenhaften steckt jedoch eine fundamentale Kritik und die Frage: Ist jede Frau, die selbständig leben möchte, eine Hexe? Der Roman ist ein Geniestreich!
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August 2020
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Christophe Boltanski: Das Versteck
Boltanski schreibt die Geschichte seiner Familie (die "Familienmytho-logie") auf, indem er Raum um Raum des Hauses durchschreitet und anhand der Besonderheiten dieser Zimmer die einzelnen Mitglieder seiner Familie charakterisiert. Das zweistöckige Haus ist die Trutzburg der Familie, ein Ameisenhaufen, für fast zwei Jahre das Versteck des jüdischen Großvaters. Regentin des Hauses ist die Großmutter, eine resolute, jede Konvention verachtende, mutige Frau, die es schafft, das Haus zugleich Gefängnis und Ort größter Freiheit sein zu lassen. Mit der Genauigkeit eines Journalisten hat Boltanski ein poetisches Werk erschaffen, das einem Kaleidoskop gleicht: es besteht aus vielen beweglichen Elementen.
Marie Desplechin und Serge Bloch:
Die Bären aus der Rue de l´Ours
Der Illustrator Serge Bloch hat zusammen mit der Autorin Marie Desplechin seine Familiengeschichte verschriftlicht. Bild und Text ergänzen sich kongenial, beide sind leicht und feinsinnig, sehr charmant und machen große Freude. Mittelpunkt der Mischpoche war die koschere Metzgerei in der Bärenstraße im Elsässischen Colmar. In diesen kleinen Ort waren nach dem Krieg nur wenige Juden zurückgekehrt, doch die Synagoge existierte noch, die Kinder wuchsen als Teil der Gemeinde auf. Prägend waren aber vor allem die so ganz unterschiedlichen Familienmitglieder, die eines einte: eine freigeistige Haltung. Serge Bloch macht die LeserInnen mit diesem Familienporträt zugleich mit Besonderheiten einer Welt vertraut, die "heute nicht mehr existiert".
Victor Margueritte: La Garçonne
Monique Lerbier stürzt sich nach dem Bruch mit ihren Eltern - sie sollte gewinnbringend verheiratet werden - in das Pariser Leben der 1920er.
Sie macht sich selbständig, verdient viel Geld, tanzt und feiert, hat Liebhaber und verfällt schließlich dem Opium.
All das bunte Leben um sie herum kann nicht die innere Leere einer intelligenten Frau ausfüllen, die nach einer echten Aufgabe sucht. Der nicht nur psychologisch tiefblickende, sondern auch politisch dezidierte Roman des Pazifisten und Verfechters der Gerechtigkeit Victor Margueritte (1866-1942) zeichnet das Bild einer suchenden Frau in einer zerrissenen Zeit - auf das Ende hin spitzt sich die Geschichte dramatisch zu ...
Frédéric Brun: Perla
Perla, die Mutter des Ich-Erzählers, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Sieben Monate verbrachte sie dort, eine Zeit, die ihr ganzes Leben prägen wird. Nach ihrem Tod begibt sich ihr Sohn auf Spurensuche, denn sie hat ihm nie erzählt, was ihr im Konzentrations-lager widerfuhr. Die persönliche Geschichte der Mutter bettet Frédéric Brun ein in die Geistesgeschichte Deutschlands und die ungläubige Frage, wie dieses Land Novalis, Hölderlin,
Caspar David Friedrich und Hitler hervorbringen konnte.
Der Gedanke, mit unlösbaren Widersprüchen leben zu müssen, wird illustriert von 15 Abbildungen, die Gemälde der Romantik und Aufnahmen des Autors aus Auschwitz zeigen - das preisgekrönte Debüt ist eine eindrucksvolle Lektüre, der Auftakt einer Familien-Trilogie, die weit über das Thema Familie hinausgeht.