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August 2017
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Hanns-Josef Ortheil: Faustinas Küsse
Als "Filippo Miller, Maler" trägt
Goethe sich in die Liste der Behörden ein, als er 1786 die Stadt Rom betritt.
Er will unerkannt bleiben. Doch der junge Giovanni Beri heftet sich an
seine Fersen, er ist ein Spion im Dienste Seiner Heiligkeit. Er wird zu Goethes Schatten, verfolgt ihn auf Schritt und Tritt und macht sich zur Aufgabe, diesem grüblerischen und zu viel redenden Nordmenschen römische Lebensart beizubringen. Das heißt nichts anderes, als ihn dem Leben zurückzugeben. Denn dass Goethe an einer schweren Krankheit leidet bemerkt Beri sehr schnell. Womöglich an unerwiderter Liebe? Die kann nur durch die Liebe einer echten Römerin geheilt werden. Die Geschichte entwickelt sich nicht ganz so, wie Beri es sich vorgestellt hat, aber eines ist sicher: die Wiedergeburt des Dichters findet nicht durch die Begegnung mit der Antike statt. Der Leser sieht den "Fremden" durch die Augen des jungen Mannes,
der einen unverstellten Blick hat und es liebt zu fabulieren.
Er ist ein wunderbarer Einfall des Dichters Ortheil, der ein federleichtes Buch voller Ironie und Überraschungen geschrieben hat, das bezaubert durch die Seelen-verwandtschaft zweier Menschen, die eigentlich getrennt durch Standesgrenzen nichts miteinander zu tun haben dürften. Dabei sind sie durch Literatur und Leben
aufs Engste verbunden.
Johannes V. Jensen: Himmerlandsvolk
In zwölf Erzählungen schildert der Literaturnobelpreisträger von 1944 das dörfliche Leben der vorindustriellen Zeit. Selbst in Himmerland, Dänemark, geboren, porträtiert Jensen Menschen, die vor allem eines teilen: ein sehr hartes Leben.
In diesem gedeihen eher Hass und Neid als Hilfsbereitschaft, Armut und Kargheit bringen als Kehrseite der Medaille Unmäßigkeit hervor, die Leben zerstören kann. Die klar und ohne Abschweifungen geschriebenen Geschichten wirken wie die Porträts Edvard Munchs oder Paula Modersohn-Beckers: man schaut den Menschen gerade ins Gesicht, ihr Leben ist ihrem Körper eingeschrieben.
Die Farben sind klar, die Dargestellten ungeschönt und wahrhaftig.
Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua
Im Jahr 2005 wurde in der Nähe von Mantua ein 6000 Jahre altes Skelett,
bzw. zwei Skelette gefunden, die sich
innig umarmen. Schnell war der Name
"Die Liebenden von Mantua" geboren. Dieses Paar, das wie kein zweites die Unendlichkeit der Liebe symbolisiert,
hat Ralph Dutli zu einem Roman inspiriert, in dem sich Religion, Renaissance, Philosophie und Archäologie mit Elementen des Kriminalromans mischen.
Er hat eine facettenreiche Geschichte geschrieben, in deren Mittelpunkt die Liebe steht. Denn eine neue Religion der Liebe soll der Schriftsteller Manu erfinden, die das Bild des Gekreuzigten wegfegt. Dafür wurde er von einem dubiosen Grafen entführt. In einer überbordenden Mischung aus Realität und Traum entführt Dutli in die Welt der Renaissance, konfrontiert seine Helden und den Leser mit realen Erdbeben und solchen, die die Liebe und die Kunst auslösen können. Ein sehr lebendiger Roman, geschrieben mit leidenschaftlicher Feder.
Mairtin O Cadhain: Grabgeflüster
Das Leben unter der Erde ist dasselbe wie das in der Alten Heimat, mit dem Unterschied, dass die Toten ihre Gräber nicht verlassen können. "Die Hölle, das sind die anderen," könnte man mit Sartre die Situation nennen, in der sich die Protagonisten dieses Romans befinden.
Wortführerin ist die kürzlich verstorbene Caitriona, doch in ihre Klagen und Anklagen mischen sich bienenstockartig unzählige Stimmen, die alte und neue Lügen verbreiten, verleumden und bezichtigen, die neidisch und eifersüchtig sind, sich widersprechen und die Seite wechseln. Von Ruhe keine Spur, es herrscht Rivaltät in jeder Hinsicht. In diesen stream of consciousness, den Cadhain, der als der irischsprachige Joyce gilt, ebenso gut beherrscht wie Joyce selbst, mischt sich eine universale Stimme, das "Schallhorn des Friedhofs." Sie ist in Wortwahl und Melodie sehr verschieden von den Klagen der Menschen und gibt dem Roman eine Struktur, die über das (oft kleinliche) menschliche Urteil hinausreicht.
Der Roman ist ein Kultbuch im gälischsprachigen Irland, er erschien 1949, wurde erst 2015 ins Englische übersetzt und liegt nun erstmals auf Deutsch vor. Eine Entdeckung.