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August 2016

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J.M. Coetzee: Leben und Zeit des Michael K.

Michael K. gerät wie Kafkas Josef K. in die Mühlen von Mächten, die er nicht greifen kann. Im vom Bürgerkrieg verwüsteten Südafrika der 1980er Jahre irrt der  unbedarfte Mann umher auf der Suche nach einem Ort, an dem er in Ruhe leben und einen Garten bebauen kann. Dies bleibt ihm verwehrt. Immer wieder muss er fliehen, wird interniert, flieht wieder und gerät noch weiter an den Rand der menschlichen Zivilisation. Sofern es diese zu dieser Zeit an diesem Ort überhaupt gibt. Michael bleibt ein Fremder, ein Mann, der die existentielle Einsamkeit des Menschen verkörpert. Sprachlich und in seiner Universalität ein sehr eindringlicher und kraftvoller Roman des Nobelpreisträgers.                                                                                                Zur Besprechung

 

 

Shumona Sinha: Erschlagt die Armen!

Eine Dolmetscherin der französischen Asylbehörde schlägt in der Metro einem unbekannten Mann eine Weinflasche auf den Kopf. Er hatte sie beleidigt und angegriffen, vor allem aber ist er einer aus jener Masse von Menschen, deren Geschichten sie sich Tag für Tag anhören muss und von denen sie weiß, dass sie erfunden sind. Aus dem einzigen Grund, die Entscheider der Behörde zu überzeugen. Der einem Gedicht von Baudelaire entlehnte Titel ist nicht etwa die Aufforderung, alle Armen totzuschlagen, sondern sich zu überlegen, in welche Mühle das geltende Recht alle stürzt, die mit ihm zu tun haben.

Sinha war selbst Dolmetscherin, sie verlor nach Erscheinen dieses Buches ihren Arbeitsplatz bei der Behörde.

Sie hat aber keine Anklageschrift verfasst, sondern einen sprachmächtigen, bilderreichen Roman, sehr durchdacht und hochpolitisch - und sehr menschlich in der Frage:

Wie weit kann ich gehen?

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Vita Sackville-West:

Unerwartete Leidenschaft

Lady Deborah Slane überrascht nach dem Tod ihres Mannes die ganze Familie: sie wird sich nicht in deren Obhut begeben, sie wird in ein eigenes kleines Häuschen ziehen. Nur sie und ihre Zofe, die eine achtundachtzig, die andere nur zwei Jahre jünger. Damit tut Lady Slane zum ersten Mal in ihrem Leben das, was sie tun möchte, und nicht das, was andere für sie entscheiden. Ein Teil ihrer Gedanken gehört der Vergangenheit, ein anderer grundsätzlichen Fragen zum Leben von Männern und Frauen und deren gänzlich verschiedenen Möglichkeiten. Ein weiteres Feld ist das Thema Alter, das die Autorin sehr einfühlsam beschreibt, obwohl sie bei der Verfassung des Romans noch keine vierzig war. Lady Slane lebt sich jedenfalls gut ein, und als dann

auch noch Herr FitzGeorge auftaucht, zeigt sich, dass Gestaltungswille nichts mit der Anzahl an gelebten Jahren

zu tun hat. Und man vor Leidenschaft nie sicher ist - und diese auf sehr vielen Gebieten existiert. Ein wundervoll "englischer"  Roman, geschrieben mit leichter und eleganter Feder, ohne Groll oder Bitterkeit.

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Virginia Woolf: Orlando

Orlando wird im 16. Jahrhundert in England geboren. Vom Hof der Königin wechselt er als Gesandter nach Konstantinopel, fällt dort nach vielen Turbulenzen in seinem Leben in eine tiefe Trance - und wacht als Frau wieder auf. Damit wechselt der Blickwinkel von der männlichen in die weibliche Perspektive und gibt der unnachahmlich scharfsinnigen Dichterin die Möglichkeit, durch die verschiedenen Zeitalter zu schreiten und deren Veränderungen mit viel Witz einzufangen - denn Orlando lebt weiter.  In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist Orlando eine moderne Frau geworden, die selbstbewusst ihren Wagen durch London steuert, doch sie ist auch eine,

die immer noch sehr gegen überkommene Vorstellungen kämpft. Ein grandioses Lesevergnügen, kein bisschen angestaubt, sondern immer noch hochaktuell.

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