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April 2020

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Jan Kjaerstad: Der König von Europa

Alf I. Veber, sechsundvierzig, erfolg-reicher Internetpionier zu Beginn des neuen Jahrtausends: er verbringt diese Nacht alleine in den norwegischen Bergen, gespannt zwischen Erinnerungen und der Frage, wie sein Leben weiter gehen soll. Kurz entschlossen reist er nach London, er will eine alte Liebe wieder finden, wird enttäuscht, begegnet aber einer jungen Frau, die die Synthese all seiner bisherigen Lieben zu sein scheint. In die Lebensgeschichte des Helden eingebettet ist die Frage: Was stellen wir mit all unserem Wissen an? Sowie die Begriffe `Muster´ und `Netz´ in allen nur vorstellbaren Ausprägungen - vom handgeknüpften Netz aus Seilen bis zum Internet, von den Mustern, die Licht und Blätter zeichnen bis zum Boden der Markuskirche in Venedig.

Alf, der einst Ideengeschichte studierte, möchte die Aufklärung vollenden, er möchte einen neuen Planeten erschaffen, einen, in dem "Bruchstücke des Wissens" ihre "wahre Bedeutung" finden, "wenn sie in etwas Ganzes eingefügt werden, zusammenwirken können". Mit einer unglaublichen Kunst des Verwebens von einzelnen Fäden schreibt Jan Kjaerstad in genau dieser Form des Vernetzens, Verknotens, Zusammendenkens des Realen und des Symbolischen. So entsteht ein sehr komplexer, spannender  und vielschichtiger Roman. 

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Cornelia Travnicek: Feenstaub

Eine vom Nebel umhüllte Insel mitten in einem Fluss, glitzernder Feenstaub, der drei verlorenen Jungspunden Flügel verleiht, und die Erinnerung

von Gewalt und Ausbeutung in der Kindheit - das sind die Ingredienzen des dunklen und märchenhaften Romans "Feenstaub" der österreichi-schen Erfolgsautorin Cornelia Travnicek um die Taschendiebe Petru, Cheta und Magare.

Da lockt sogar ein goldfarben geprägter Titel hinein ins außergewöhnliche und schön gestaltete Buch.

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Stefan Zweig: Der Zwang

Stefan Zweigs Geschichte aus dem Jahr 1920 von Zwang und Wille, Mut und Feigheit stellt den Maler Ferdinand in den Mittelpunkt. Er ist mit seiner Frau Paula in die Schweiz gegangen, um sich der Einberufung zum deutschen Militär zu entziehen. Doch die Macht der Kriegstreiber reicht über die Grenzen des Landes hinaus - Ferdinand muss sich entscheiden, ob er sich widersetzt oder der amtlichen Aufforderung zur Musterung folgt. Paula repräsentiert die Stimme der Freiheit und Menschlichkeit und erinnert Ferdinand an die Wahlmöglichkeit jeden Individuums. 

Die zeitlose Erzählung wird kongenial ergänzt durch Holzschnitte Frans Masereels, mit dem Stefan Zweig der Kampf gegen Krieg und Ungerechtigkeit und auch eine tiefe Freundschaft verband. Bild und Text ergänzen sich und bringen die Aussage der Geschichte voll zur Geltung.

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Christine Wunnicke: Nagasaki, ca. 1642

Der junge Abel van Rheenen kommt als junger "Dolmetsch" mit einem Handelsschiff nach "Japonica". Dort trifft er auf den ehemaligen Krieger Seki Keijiro, der noch eine sehr alte Rechnung mit den Orandesen offen hat. Die Wege der beiden verquicken sich miteinander: Keijiro will Rache üben an dem, der die Kanonen gebracht hat, Abel will die japanische Seele erkunden. Mit ihm lernen die LeserInnen diverse Künste kennen, folgen den beiden aufs Land und entdecken ein Reich, das nur als `phantastisch´ bezeichnet werden kann. Dicht, detailreich, mit feiner Ironie und trefflichen Pointen entsteht eine plastisch-dramatisch-komische Geschichte, die auch eine Geschichte der Liebe und Verführung ist.

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Edvarts Virza: Straumeni

Ein Gehöft auf dem lettischen Land ist der `Held´ dieses Romans, der auf eine Handlung völlig verzichtet. Im Mittel-punkt stehen die Jahreszeiten und die mit ihnen verbundenen Tätigkeiten. Sehr detailreich und genau schildert Edvarts Virza den Dreiklang von Arbeit, Glaube, Natur. Das "Paradies", das er beschreibt, ist kein Schlaraffen-land, aber die Arbeit sinnstiftend, die Menschen aufgehoben. Der Roman wurde schnell nach seinem Erscheinen im Jahr 1933 zum Nationalepos eines erst fünfzehn Jahre zuvor unabhängig gewordenen Landes - das Leben war sicher nie so, wie es dargestellt wird, aber der Roman war eine Quelle für die Identität der jungen Nation. Und für den heutigen Leser ist es ein Einblick in eine geordnete Gesellschaft, "in der alles und jeder Wertschätzung erfährt und in der nichts und niemand überflüssig ist", wie Berthold Forssman in seinem erhellenden Nachwort schreibt. 

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Helwig Brunner: Gummibärchenkampagne

Mehr als einhundert Minutennovellen werfen Blicke auf ganz alltägliche Situationen und Phänomene - Helwig Brunner macht aus diesen frische, hintergründige, fallenstellende, selbstironische, surreale, groteske und vor allem sehr charmante Geschichten. Sie sind ein toller Schmaus, nur ein bisschen böse und kein bisschen seicht - sie sind allerbeste Unterhaltung und Anregung, das menschliche Drama einmal von einer neuen Seite zu betrachten.

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