Lucia Zamolo - Und dann noch ... das andere Bein anheben!

Wie Stress weniger stresst - fast ohne toxic Tipps!

Ein weiteres Buch aus der Feder Lucia Zamolos in ihrem unver-wechselbaren Stil. Dieses Mal geht sie dem allgegenwärtigen Phänomen Stress und dessen Bewältigung nach. Entstanden ist ein Sachbuch für Leser ab 14 Jahren, das das komplexe Thema sehr gut auf den Punkt                                                                    bringt.

 

Lucia Zamolo beginnt mit der physisch/wissenschaftlichen Beleuchtung ihres Themas. 

"Evolutionstechnisch gesehen ist Stress eine Energie-Aktivierung, falls du z.B. in die Situation geraten solltest, einem Wollnashorn über den Weg zu laufen."

Hier gibt es zwei Lösungen: kämpfen oder fliehen. Für beide braucht es eine Menge Energie, die mittels Hormonen aktiviert wird, im Moment unnötige Vorgänge wie Verdauung oder Libido werden hierfür unterdrückt.

Eine gute Sache also, weniger gut wird es, wenn dieser Zustand zu lange anhält. Es kann zum Zusammenbruch kommen. Oder, für den Augenblick weniger dramatisch, auf lange Zeit aber sehr nervig: es kommt zu "kreisenden Gedanken", die sich nicht bremsen lassen.

Auf dem Bild, das diese Situation verdeutlicht, ist eine Dauerschleife zu sehen. Wie eine lästige Fliege umschwirrt der Gedankenstrom das Mädchen, das durch das ganze Buch führt. Ich will sie Lucia nennen, denn die Autorin spricht auch über eigene Erfahrungen mit dem Thema Stress.

 

Lucia zeigt, wie sich ein Mensch fühlt, der in eine solche Schleife geraten ist. Sie versucht es zunächst mit Multi-tasking - das ist eine Sache der Unmöglichkeit. Das Gehirn kann nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun, der Mensch verfügt weder über acht Arme, noch über getrennt voneinander funktionierende Gehirnteile. Es passiert nur eines: die Stresshormone, die für kurze Momente hilfreich sind, werden nicht mehr abgebaut, sie machen krank. 

 

Auf einer Doppelseite werden all die Folgen aufgezeigt, die sich aus der Dauerüberforderung ergeben können. Diese Seiten sind eng bepackt mit Begriffen, sie symbolisieren das Zuviel an allem trefflich. 

 

Aber stopp: es gibt auch positiven Stress. Stimmt, in Glücks-momenten, aber nur für kurze Zeit. 

Hier erscheint der erste Experte, der sich mit dem Thema beschäftigt und ein Modell entwickelt hat. 

Es werden weitere Fachleute zitiert, Lucia Zamolos Buch steht auf der Basis der Wissenschaft. Diese verbindet sie mit eigener Erfahrung und mit der gesellschaftlichen Ebene, was das Buch besonders wertvoll macht. Denn: man hat nicht alles in der Hand, es gibt Dinge, die der Einzelne nicht willkürlich beeinflussen oder steuern kann. Da kann man meditieren so lange man will.

 

In einer Leistungsgesellschaft ist man nie gut genug. Man kann immer noch besser werden, sich daraus auszuklinken ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt, es ist eine Lebensaufgabe.

 

Ein Freund Lucias hat es geschafft, Lucia geht einen Schritt in diese Richtung: sie bricht ihr Studium ab. Fügt aber auch gleich hinzu, dass nicht jeder das Privileg hat, nochmal zu überlegen und nochmal von vorn anzufangen. Für diesen Schritt braucht es Unterstützung von außen. Und es hängt nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Stellung der Eltern ab. Die ungleichen Möglichkeiten fangen schon mit dem Geschlecht an! Man kann ganz schön in der Falle sitzen, und den Schlüssel, der die schwarze Kiste der Veränderung öffnet, einfach nicht finden. 

 

Das kann zu dem Gefühl führen, eine Pause machen zu wollen, sei Faulheit, dies verursacht zu allem Übel auch noch Schuldgefühle. Warum funktioniere ich nicht wie die anderen?

 

Und wenn dann noch gutgemeinte Ratschläge auf einen niederprasseln, wird es auch nicht besser. "Toxische Positivi-tät" nennt sich das, und hilft überhaupt nicht.

Hilft es, sich komplett abschotten? Nicht unbedingt, dann hört man die Gedanken im Kopf nur um so lauter kreisen.

 

Zum Glück gibt es aber doch ein paar Strategien, mit denen das Problem angegangen werden kann: in die Natur gehen, sich bewegen, sich mit Freunden treffen, Berührungen.

 

Das Ziel ist, die Zeit selbst bestimmt zu verbringen.

Nun aber bitte keinen Freizeitstress aufbauen, keine To-do-Liste anfertigen für viel zu viele Aktivitäten und den Aufgaben eine weitere hinzufügen: ICH MUSS MICH ENT-SPANNEN. Das erhöht den Druck weiter.

 

Eine Lösung könnte sein, sich klarzumachen, dass man nicht alles ändern kann, wenn man nur genug dafür tut.

Die gesellschaftliche Komponente darf nicht negiert werden. 

Und noch eines sollte man begreifen:

"Man muss nichts werden. Man ist doch schon jemand!"

 

Am Ende des Buches sitzt eine nachdenkliche Lucia still vergnügt auf dem Boden. Sie hat ein Notizbuch neben sich liegen, schreibt aber nicht, sondern faltet Papierflieger, ein kleiner Vogel beobachtet sie dabei. 

Und auf der aller letzten Doppelseite liegt sie im Gras, gemütlich ausgestreckt, das Vögelchen hat sich auf ihrem großen Zeh niedergelassen. 

Der Text:

 

"Du darfst einfach sein, ohne etwas zu tun - Falls du es dir heute noch nicht gesagt hast."

 

Ein umfassendes Buch also, das einen Bogen vom Wollnas-horn bis zur modernen Leistungsgesellschaft schlägt.

Das viele Fakten sammelt, die Probleme an einer einzelnen Person darstellt, auf die Gesellschaft verweist und Lösungs-strategien aufzeigt. Gleichzeitig aber betont, dass es DIE Lösung nicht gibt, ein jeder muss seinen Weg selbst finden. 

Die Bilder sind lebhaft und griffig, die Illustrationen verdeutlichen auf einer zweiten Ebene Inhalt und Aussagen, ganz wie man es von Lucia Zamolo kennt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lucia Zamolo: Und dann noch ... Wie Stress weniger stresst - fast ohne toxic Tipps!

bohem press, 2024, 108 Seiten, vollfarbig, ab 14 Jahren