Zach Williams - Es werden schöne Tage kommen

Die Surrealität lauert nicht hinter der Realität, die Realität ist surreal. Sie entspricht keinem humanistischen Ideal, ist nicht menschenfreundlich oder dem Glück dienlich, im Gegenteil. Diesen Schluss könnte man nach der Lektüre dieser brillanten Erzählungen ziehen. Eine jede spielt in einer nach eigenen Gesetzen funktionierenden und irritierenden Welt.
Da sind Ronna und Jacob, die mit ihrem kleinen Sohn Max den Sommer fernab der Welt verbringen wollen. Ein großer Wald, ein See, weder Nachbarn noch Straßen in der Nähe, das Idyll scheint perfekt. Bis Ronna und Jacob merken, dass dieser Ort nicht den gewohnten Regeln folgt. Sie wissen nicht, wie sie hierher gekommen sind, wie lange sie schon da sind, wie sich die Kühltruhe immer wieder selbst befüllt.
Und als sie feststellen, dass Max überhaupt keine Fortschritte mehr macht, dass nicht einmal seine Haare mehr wachsen, wird langsam klar: sie sind in eine Zeitfalle geraten. Oder Max ist aus der Zeit gefallen, denn Ronna und Jacob altern. Sie stellen fest, dass "die alten Erinnerungen mit der Zeit instabil wurden ... So würde der letzte Verbindungssteg zu ihrem alten Leben zerbröckeln."
Eines Tages verschwindet Jacob. Auch Ronna ist manchmal tagelang unterwegs. Und Max? Ihm kann nichts etwas anhaben. In seinem Gitterbett ist er in einem "gewisser-maßen heiligen Zustand. ... Ein Bewohner der Ewigkeit."
Ronna beschließt, diese Hölle zu verlassen. Sie nimmt Max auf den Rücken, wandert der Sonne nach gen Westen, bis sie aus dem Wald heraustritt.
"Hier war die Erde viel bleicher, sandig. Vor ihnen lag nichts. Absolut nichts. ... Nun waren sie nirgendwo."
Sie kehren zurück zum "Sauerkleehaus". Ronna ist sicher:
"Es werden schöne Tage kommen."
Zach Williams wählt die grandiose, unendlich scheinende Natur Nordamerikas als Kulisse für diese Geschichte, in der sich die Welt wie ein Strick um den Hals der Protagonistin legt. Dem Nicht-Begreifen dessen, was hier geschieht, steht die Klarheit, dass es kein Entrinnen geben wird, gegenüber. Diese entwickelt sich langsam, aber stetig.
Nach dem gescheiterten Fluchtversuch bleibt für Ronna nur noch eine Möglichkeit, diesem Albtraum zu entkommen: sterben. Diese steht nur ihr zur Verfügung:
"Sie füttert Max nicht mehr. Sie lässt ihn tagelang im Wald. Sie hat einen Käfig an einem Seil, wie eine Krebsfalle, und versenkt Max darin im See. `Unheimich´, sagt er, nachdem er das ganze Wasser ausgehustet hat."
Max ist unsterblich. Ob für ihn schöne Tage kommen werden?
Hier, wie in allen anderen Erzählungen, wird an keiner Stelle deutlich, woher die Bedrohung kommt. Sie ist einfach da, Teil der Existenz, der Welt innewohnend. Dies zu akzeptieren scheint unumgänglich.
In dieses existenzielle Ausgeliefertsein mischen sich in manchen Geschichten Aspekte, die einer Psychose gleichen. So im Fall eines Mannes, der die alte Nachbarin tot in ihrer Wohnung findet, und sich dort einen merkwürdigen Reigen mit einem maskierten Unbekannten liefert, der womöglich etwas mit dem Tod der alten Dame zu tun hat. Er könnte aber auch eine Einbildung sein. Tom kann sich das alles nicht erklären, er fühlt sich zunehmend "müde und missmutig, als währte mein Leben schon zu lange."
In der Erzählung "Probelauf" kommt noch eine politische Dimension hinzu. Der Wachmann eines Bürokomplexes, Manny Minotauro, vermittelt eher den Eindruck, eine Bedrohung zu sein. So empfindet es der Ich-Erzähler. Als er ungewollt mit ihm ins Gespräch kommt, hält Manny mit seiner Meinung nicht hinterm Berg:
"Am Ende des Tages sind´s die Reptilien, die die Fäden ziehen."
Er ist auch fest davon überzeugt, dass die Mails, die die Chefin Lisa verleumden und bedrohen, von ihr selbst herum- geschickt werden. Die Adresse des Absenders lautet "ThruthFlex00-02@gmail.com".
Die vorletzte Erzählung trägt den Titel "Mausefallen". In ihr möchte ein junger Mann eine Lebendfalle kaufen. Dieses Vorhaben führt ihn zunächst in das Büro des Ladenbesitzers, wo eine inquisitorische Befragung stattfindet. Sie endet fast in einem Zusammenbruch und schließlich damit, dass der junge Mann flieht und sich in einem Wald wiederfindet. Er hat einen mörderischen Hunger, den er an einer Raststätte stillt und danach beschließt, wegzugehen und ein neues Leben anzufangen. Wird ihm das gelingen?
Es scheint eher so, dass er in einer Lebendfalle gefangen ist. Dass das ganz Leben eine Falle ist.
Zach Williams zeichnet in seinem literarischen Debüt die Welt in den Details ganz und gar realistisch. Ob Natur oder Stadtlandschaften, Lebensgewohnheiten, gesellschaftliches Miteinander oder die Gefühle der Figuren, kein Teil dieses Puzzles wirkt irreal. Aber das Gesamtbild, das Williams hier evoziert, gleicht einer Lebendfalle. Keine Hand eines größeren Wesens wird kommen und sie öffnen.
Zach Williams: Es werden schöne Tage kommen - Stories
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und
Clemens J. Setz
dtv Hardcover, 2025, 272 Seiten
(Originalausgabe 2014)