Anne Weber - Luft und Liebe

Die Protagonistin in Anne Webers luftigem Roman findet ihren Traum-mann leider erst mit Anfang vierzig.

Ein Kind wäre die Krönung dieser Liebe, doch die biologische Uhr tickt bereits. Aber die moderne Reproduk-tionsmedizin kann bekanntlich Wunder vollbringen, auf dieses hoffen sowohl die Märchenprinzessin als auch ihr Prinz. Und: Mister Right hat sogar                                                    ein Schloss in der Provinz.

 

Eigentlich fehlt nur noch das Pferd, aber es hat nur für einen Hund gereicht. Einer Hündin, um genau zu sein, die wohl von all der "herrschenden Kinderhysterie angesteckt worden" ist und scheinschwanger wurde.

 

Die Mühen, eine Schwangerschaft der Prinzessin herbeizu- führen, werden ausführlich beschrieben in diesem Roman, aber:

 

"Dies ist kein Roman über die Auswirkungen der modernen Fortpflanzungsmedizin auf das Leben heutiger Paare, es ist überhaupt kein Roman über irgendetwas, sondern einfach eine Geschichte...."

 

Eine Geschichte mit doppeltem Boden. Denn die Autorin hat sich den Spaß erlaubt, in ihre in der Ich-Form erzählte Geschichte eine "Doppelgängerin" einzuschreiben. Diese ist Léa, Protagonistin eines Manuskripts, das im Papierkorb landete. Der Titel dieses Entwurfs lautet "Armer Ritter", sein Held heißt Enguerrand, ein heute nicht mehr gebräuchlicher Name, aber es gibt ja auch keine Ritter mehr. Dieser Enguerrand hat ein leibhaftiges Vorbild: ein Herr, der einst ein Interview mit der Schriftstellerin führte, sich unsterblich in sie verliebte, sechs Jahre von ihr träume und ihr schließlich wieder begegnete. Und zu ihrem Märchenprinzen wurde.

 

Das klingt ein bisschen verwirrend, ist aber ein feiner Kniff, um eine Distanz zwischen der Ich-Erzählerin und der Heldin zu schaffen.

So entsteht eine ironische Geschichte, die sich immer wieder genau so selbständig macht wie Léa. Sie denkt und fühlt:

 

"Die Geschichte freut sich über das Unglück der Prinzessin. Sie fürchtete schon, in einem schönen, heilen, langweiligen Familienleben enden zu müssen. Begeistert von der Wendung, die sie nun genommen hat, möchte sie am liebsten in allen Einzelheiten erzählt und gehörig ausgeschmückt werden, was ich ihr zu Gefallen auch mit besten Kräften versuche, und dies nun schon zum zweiten Mal. Hab Einsicht, Geschichte, und gib zu, daß du Unmögliches von mir verlangst. Wie soll man von einem Unglück erzählen, das einem selbst widerfahren ist? Wenn du weiter darauf bestehst, erzählt zu werden, werde ich wahrscheinlich bald zum dritten Mal von vorne anfangen müssen."

 

Dieser Roman ist über die Liebesgeschichte hinaus ein Roman über das Schreiben, über das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit, und auch über die Konstruktion eines Ich.

 

So, wie der Ritter nur eine Einbildung gewesen war, in Wirklichkeit war er ein Schuft, so war die ihren Märchen-träumen aufgesessene Heldin "ein Phantom", eine "Abspal-tung" der Erzählerin. Und wer ist dann "Ich"?

 

"Das Ich ist die Person, die einem am ehesten abgenommen, ich meine, geglaubt wird, während sie einem leider in einem anderen, entlastenden Sinne, nie abgenommen wird. Wer käme schon auf die Idee, hinter diesem Prinzessinnen-Ich nicht mich (Sie wissen schon, wen) zu vermuten? Aber bin ich es wirklich?"

 

Die Geschichte, die davon erzählt, dass es das Märchen-prinzessinenglück nur im Märchen und in schlechten Romanen gibt, deshalb landete der "Arme Ritter" ja auch im Papierkorb, erzählt auch davon, wie man sich befreien kann. Die Heldin macht aus ihrer Wut am Ende der Liebe und der Geschichte keinen Hehl, sie schreitet zur Tat. Als diese voll-bracht ist, kann sie sich wieder mit Genuss dem vollen Leben zuwenden.

 

Die Schriftstellerin/Ich-Erzählerin stellt die abschließende Frage:

 

"Kann es sein, daß das Leben keinen anderen Sinn hat, als erzählt zu werden und im Erzählt-Werden immer wieder neu zu entstehen? Daß also das Erzählt-Werden einer der vielen Wege der Fortpflanzung ist, die das Leben kennt? ... Die Geschichte ist geschehen, um erzählt zu werden. Ich habe sie in dem verworfenen Armer-Ritter-Roman ein erstes Mal erzählt, und nun habe ich sie noch einmal erzählt, Menschen werden sie lesen und einander aus der Erinnerung nacherzählen, und in diesen Erzählungen werden manche Worte überleben, Schloß, Pfauen, Plastiktöpfchen, Schloßfrau, Kinderzimmer, Spraydose ... die Geschichte wird sich mehren, und jedesmal wird sie anders aussehen."

 

Diese schönen Worte über Leben und Erzählen sollte man sich zu Herzen nehmen. Sie machen das Leben luftiger.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anne Weber: Luft und Liebe

Matthes & Seitz Berlin, 2023, 188 Seiten

(Originalausgabe 2010)