Tom Vuk - Josip
In diesem klug komponierten Roman fiktionalisiert der 1966 in Süddeutsch-land geborene Autor die Lebensge-schichte seines Vaters. Dieser kam als junger Mann in den 1960ern nach Stuttgart. Nicht, um Geld zu verdienen, sondern um frei zu sein. Frei von den Erwartungen der Familie, deren Streitereien und dem ganzen histori-schen Gepäck seiner Heimat Kroatien.
Im Prolog wird Josips Reise im Zug beschrieben. Seine Gedanken und Gefühle, die Mitreisenden, die Stimmung.
So verfährt Tom Vuk auch im Roman, der eine sehr gelungene Zusammenstellung vieler kleiner Geschichten ist, verbunden durch die Hauptfigur.
Er beginnt mit Josips Ende der Kindheit. Josip ist vierzehn, kommt zum ersten Mal einem Mädchen nahe, arrangiert durch deren Cousin. Es ist keine romantische Begegnung, aber eine, die ihm die Augen dafür öffnet, dass es eine Welt außerhalb des Dorfes gibt.
Josip wächst auf einem kleinen Bauernhof auf, von früh an übernimmt er alle möglichen Arbeiten. Auch in dem kleinen Laden, den sein Vater Dragec führt, arbeitet er mit.
Dragec ist ein schweigsamer Mann, der nur Worte findet, wenn er seinen Sohn tadeln will. Er nennt ihn faul und unfähig, beides ist völlig falsch. Zum Glück ist seine Mutter eine dem Leben zugewandte Frau, die ihm ihre Zuneigung zeigt.
Diese Beschreibung des familiären Lebens zwischen Hof und Laden, zwischen harter Arbeit und Armut, eingebettet in die historische Entwicklung - "Das Einzige, was sich über die Jahrhunderte änderte, waren die Namen der Feudalherren. ... Fron blieb Fron, ganz gleich, wie der Name der Herrschaft auch lautete" - gibt einen Einblick in das Leben von Menschen, die nicht einmal von einem besseren Leben zu träumen wagen.
Der Junge hört die Geschichten und Legenden seiner Vorfahren, sie dienen nicht zuletzt dazu, ihm klar zu machen, welchen Weg er einschlagen soll:
"Josip fühlte sich diesem Erbe und den Erwartungen seines Vaters verpflichtet. ... Seine Zukunft schien vorbestimmt. Josip würde ein Mädchen aus dem Dorf oder der Nachbar-schaft heiraten, ... sie würden ein eigenes Zuhause haben, Kinder bekommen, so wie seine Eltern und Großeltern, wie all seine Vorfahren."
Der Roman erzählt den Weg Josips heraus aus dieser Vorbestimmung.
Zu Hilfe kommt ihm die Einberufung zum Militär. Er leistet seinen Dienst in Zagreb, dort öffnet sich ihm eine neue Welt. Er lernt Blazenka kennen und lieben, eine Studentin, die ihn in die Literatur und Philosophie einführt, ihn eine Musik hören lässt, die so gar nichts mit Polka oder Mazurka zu tun hat.
Gegen den Willen seines Vaters entschließt sich Josip, nach der Militärzeit eine Ausbildung zu machen. Er geht nach Maribor in eine Autowerkstatt, vermittelt von einem Freud, bei dessen Familie er auch lebt. Diesen Ort verlässt er ohne Ankündigung und Abschied, er hatte durch Zufall erfahren, wie sich die Familie Stajnbah, ehemals Steinbach, im Zweiten Weltkrieg verhalten hatten, das macht es ihm unmöglich, länger unter diesem Dach zu leben.
Hier wählt Tom Vuk alte Briefe, die Josip findet, um die Zeit des Nationalsozialismus im damaligen Jugoslawien zu beschreiben.
An anderen Stellen wählt er Fotos, sehr ausführlich geht er auf die Geschichte von Josips Großeltern ein, was ihn einen Bogen vom Ersten bis über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus schlagen lässt.
Innerhalb der Familie standen sich hier Ustascha-Kämpfer und Partisanen gegenüber, im Krieg werden auch persön-liche Rechnungen beglichen.
In einer schönen Breite und Tiefe erzählt der Autor aus dem Leben seines Großonkels Zeljko, er ist der Bruder seiner Mutter. Und der Einzige, der das Dorf und das Land verließ. Der in Prag der Geliebte einer sehr reichen Dame war, in Wien auf Seiten der Arbeiter demonstrierte, illegal gebrannten Schnaps verkaufte und knapp mit dem Leben davon kam. Und weiterzog nach Budapest. Und immer weiter, dabei träumt er von der Rückkehr nach Geckovec.
So wie Zeljko zieht auch Josip immer weiter, von Maribor in das Dorf Gradac, wo ein Vetter von ihm ein Restaurant betreibt. Nun ist er eben Kellner, doch auch diese Station verlässt er nach einigen Monaten wieder.
Jedes der dreizehn Kapitel widmet sich anderen Personen, einer anderen Zeit.
Der Konflikt zwischen Zeljko und seinem Schwager Ante wird nicht weniger dramatisch geschildert als der zwischen Josip und Dragec, die Ausschreitungen in Wien oder die depressive Phase von Josips Großmutter. Ob großbürgerli-ches Milieu, Bauernhof, Autowerkstatt oder die traurige Wohnung Zeljkos in Stuttgart (ich könnte fortfahren mit der Aufzählung), Tom Vuk zeichnet die Lebenswelt seiner Figuren lebendig und präzise.
Dabei entwickelt er eindrucksvoll die Charaktere, denn er spart die inneren Kämpfe nicht aus.
Die Geschichte Josips ist keine Gastarbeitergeschichte.
Es ist die Erzählung eines Mannes, einer Familie, eines halben Jahrhunderts, die zeigt, dass es die Geschichte, den Menschen vor seiner Einwanderung nach Deutschland gibt. Die zeigt, dass nicht immer wirtschaftliche Gründe den Ausschlag für das Verlassen der Heimat geben, sondern der Wille, sich ein eigenes Leben aufzubauen.
Ein sehr gelungenes Debüt!
Tom Vuk: Josip
schruf & stipetic, 2022, 300 Seiten