Toxische Pommes - Ein schönes Ausländerkind

"Meine Familie hatte also nicht nur Glück gehabt, was den Krieg betraf, sondern uns waren auch noch die aller-besten Voraussetzungen für ein neues Leben in Österreich geschenkt worden: Obwohl wir manch besorgtem Staats-bürger versichern mussten, dass wir nicht den Koran lesen, sondern an Jesus und die Engel glauben, dass `orthodox´ nicht `strenggläubig´, sondern im Grunde einfach nur bedeutete, dass wir Weihnachten und Ostern zwei Wochen später feiern, blieben wir am Ende des Tages die guten Ausländer. Mein Vater und ich hatten noch dazu blaue Augen, ich hatte sogar blonde Locken. ... Immer und immer wieder wurde mir versichert, ich sei ein schönes Ausländerkind."
Die Ich-Erzählerin kam als kleines Kind mit ihren Eltern nach Österreich. Mutter und Vater "stammten ursprünglich aus Serbien und Montenegro und waren zum Studieren nach Kroatien gezogen". Als sich der Krieg auch Rijeka näherte, beschlossen sie, das Land zu verlassen. Das war Anfang der 1990er Jahre.
Die Familie findet Unterschlupf bei Renate Hell und ihrem Mann. Diese besitzen ein kleines Haus, in dem die Mutter Renates bis zu ihrem Tod gewohnt hatte. Nun stellen sie es großzügiger Weise Kriegsflüchtlingen zur Verfügung. Diese müssen dafür nur ein bisschen im Haushalt mithelfen. Das bedeutet im Klartext, dass die Mutter ein umfangreiches Putzprogramm zu absolvieren hat, sowie kocht und auf die beiden Kinder aufpasst, während der Vater sich um den Garten und kleine Reparaturen kümmert.
Renate hatte sich schon immer Dienstboten gewünscht...
Während es der Mutter im Lauf der Zeit gelingt, neben dieser Arbeit ein zweites Pharmaziestudium zu absolvieren - ihr Abschluss wird in Österreich nicht anerkannt - wird der Vater zum Hausmann. Außer kleinen Schwarzarbeiten ergibt sich nichts für den Schiffsbauingenieur, eine Arbeits-genehmigung erhält er nie. Immer ist das Kontingent ausgeschöpft. "Da angeblich zu viele Ausländer da waren,
die den Österreichern ihre Jobs wegnahmen, blieb ihm nichts anderes übrig, als der faule Ausländer zu werden, der nicht arbeiten wollte."
Die Erzählerin selbst entwickelt sich zur Muster- und Einserschülerin. Ihr Lehrer ist sehr begeistert von ihr. Er bittet die Mutter sogar darum, alte Hefte behalten zu dürfen, "er habe noch nie ein derart sorgfältig geführtes Schulheft gesehen und wollte sie im kommenden Herbst seiner neuen Klasse als Ansporn zeigen". Dies hält ihn nicht davon ab, sie für die Hauptschule und nicht fürs Gymnasium zu empfehlen: "Ihre Tochter ist zwar in der Volksschule die Klassenbeste, ich denke aber, dass es klüger wäre, wenn sie sicherheitshalber eine Hauptschule besucht. Immerhin ist Deutsch ja nicht ihre Muttersprache."
Von diesen Stichen kleiner und großer Art ist das Leben der Erzählerin gespickt. Sie reagiert darauf mit extremem Ehrgeiz, der sie nicht nur in der Schule (sie kommt trotz des Lehrers aufs Gymnasium) ganz nach vorne bringt, sondern auch im Schwimmverein. Zwar wird nichts aus dem Traum von Olympia, aber immerhin an den Österreichischen Staatsmeisterschaften nimmt sie teil.
Die österreichische Staatsbürgerschaft ist dabei ein Begriff, den sie schon als Volksschulkind kennenlernt.
"Ich wollte unbedingt Staatsbürgerin werden. Wenn wir erst einmal die österreichische Staatsbürgerschaft hatten, konnte uns niemand mehr irgendwohin abschieben."
Und: "Niemand wurde Staatsbürger, weil er `gut´ war. Ich musste `sehr gut´ sein."
Während sie und die Mutter auf der Erfolgsschiene sind, "war mein Vater zu einem Einrichtungsgegenstand in unserer Wohnung geworden." Er hat das Internet für sich entdeckt und verbringt dort einen Großteil seines Tages und seiner Nächte. Da die Familie mittlerweile eine eigene Wohnung hat, endlich weg ist von Renate und ihren Wünschen, fielen auch die Aufgaben dort weg und er hat sehr viel Zeit.
Der ganze Roman ist in einem lakonisch-humorvollen Ton mit der Tendenz zu schwarzem Humor gehalten, mit sehr ernsthaften Überlegungen, wie: "Nun weiß ich nicht, ob es mehr wehtut, aus seinen Wurzeln gerissen zu werden oder niemals Wurzeln geschlagen zu haben."
Im dritten und letzten Teil wird er ansatzweise bitter. Denn schmerzhaft ist die Erfahrung, festzustellen, dass die Tochter ihren Vater, der in einer anderen Welt lebt, verloren hat.
"Ich empfand eine Mischung aus Mitleid und Schuld für ihn. ... Ich fühlte mich schuldig für das, was ich hatte und er nicht."
Und der Preis, für das, was sie hat, war hoch:
"Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich?
Meinen Vater."
Umso entschiedener erhebt nun die Autorin ihre Stimme.
Die Juristin steht mit einem Kabarettprogramm auf der Bühne, ist in den sozialen Medien präsent - und schreibt Romane. Das `schöne Ausländerkind´ ist ihr Debüt.
Es ist ein scharfer und unbestechlicher, ehrlicher und schonungsloser Blick auf den Alltagsrassismus Österreichs. Würde der Roman in einem anderen Land spielen, wäre vermutlich nur die Art des Humors eine andere, nicht jedoch die Situation.
Auf einer Balkan-Reise der Familie stellt sie fest:
"Das waren auch die Momente, in denen sich Österreich am meisten wie mein Zuhause anfühlte -, wenn ich nicht dort war."
Und während der Rückreise fragt sie sich, "wer meine Eltern geworden wären, hätte man sie nicht zu ewigen Gästen in Österreich verdammt."
Wie viele Generationen braucht es, um anzukommen?
Das ist nur eine der Fragen, die sich nach der Lektüre dieses so komischen wie hintergründig-traurigen Romans stellt.
Es gibt viel zu lachen, genauso viel gilt es zu hinterfragen, vor allem bei sich selbst.
Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind
Zsolnay Verlag, 2024, 208 Seiten