Sasa Stanisic - Fallensteller
Diesmal also ein Erzählband des sprachverliebten, fabulierlustigen und fantasiesprühenden Autors. Und was für einer. Stanisic zieht alle Register, um einen volltönenden Chor erklingen zu lassen - seine Liebe gehört aber vor allem dem Teufel im Detail.
Die titelgebende Erzählung ist eine Art Fortschreibung des Romanes "Vor dem Fest". Das Personal taucht wieder auf, der Ort ist der gleiche geblieben. Im Grunde der gleiche, auch wenn es ein paar Veränderungen gab, nachdem das Buch des "Jugos" erschienen war und diverse Literaturzirkel aus Lübeck oder anderswo plötzlich in der Garage standen und ein Bier wollten. Der Roman war in die Ortschronik eingebunden und ebenso Teil der Geschichte geworden wie all die anderen Wellen, die in den Jahrhunderten zuvor durch Provinz und Dorf geschwappt waren.
Diesmal taucht also die Figur des Fallenstellers auf.
Er ist nach Mantel-und-Degen-Art gekleidet, steht plötzlich in Ullis Garage und behauptet, Ratten wären kein Problem.
Er stellt eine Falle in Form und Farbe einer kleinen Kirche auf, aus einer Ecke kommt eine Ratte angetrottet, schnuppert kurz und begibt sich in die Kirche, um dort zu verweilen.
Ebenso verweilt der Fallensteller, zieht zu Angela und Günter Zieschke in die Einliegerwohnung. Soll erstmal in der Backstube die Mäuse vertreiben, fängt aber nur eine Fliege in einer Streichholzschachtel. Womit er Angela schwer beeindruckt, ihren einbeinigen (zu viele Zigaretten) Gatten aber schwer eifersüchtig macht. Bis er ihnen beiden etwas ins Ohr flüstert, das vielleicht ihre Ehe rettet, denn plötzlich haben sie sich auch nach fünfunddreißig Jahren Ehe wieder etwas zu sagen.
Er hatte sich ja angeboten, eine Weile im Ort zu bleiben und Fallen feilzubieten "für beileibe alle Nöte, nicht nur für das Tier," sondern für "alles, alles hier".
Lada, Sohn des Bäckerehepaares und wohlbekannt in Fürstenfelde, u.a. dafür, dass er schon mehrere Autos im See geparkt hat, war derjenige gewesen, der damals den "Jugo-Schriftsteller" herumgeführt und ihm alles gezeigt hatte.
Er hat mittlerweile selbst schriftstellerische Ambitionen, behält aber seinen Entrümpelungs-Service bei, da verdient er mehr. Doch er scheint wirklich talentiert, denn er bekommt sogar einen Literaturpreis, der ihn am Ende der Erzählung nach Hamburg führt (so weit im Westen war er noch nie). Zusammen mit seinen Kumpels und mit dem Fallensteller fährt er hin, er muss ja öffentlich lesen.
Das was er liest, ist er Anfang seines Buches und es ist wortwörtlich der Anfang der Erzählung "Fallensteller."
Nur dass bei Lada nach der ersten Passage ein Gedicht kommt, bei Stanisic folgt der Fallensteller.
Es ist also eine etwas undurchsichtige Gemengelage:
Wer ist hier eigentlich wer? Egal, nicht nur in Stanisic und Lada stecken ein Poet - und ein Schriftsteller ist sowieso ein Lügner und Fallensteller.
In der Erzählung tauchen wieder viele Tiere auf, klar, man befindet sich ja nah am Wald. Also sind auch die Förster nicht weit, die den Wölfen, Wildschweinen im allgemeinen und einem schönen Keiler im besonderen zu Leibe rücken.
Wenn sie nicht gerade gemeinsam einer Bundeswehrübung zusehen. Oder sich vor der Dohlenhaube versammeln - ein Hotspot, der zum gemeinsamen Picknick anregt.
Es hört sich alles ein bisschen absurd an, und das ist es auch. Und das ist das Schöne daran.
Im Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" gibt Opa Slavko seinem Enkel eine Lebensweisheit mit auf den Weg: "Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie." Das hat Enkel Sasa beherzigt.
Schön ist aber auch, dass er die Wirklichkeit nicht außen vor lässt. Auf Angelas Frage an den Fallensteller, was er denn da in der Zeitung lese, antwortet dieser:
"Nationalismus, Protektionismus ... Europas größte Fallen ... Sich Ressourcen krallen, bis vor Ort sich Fäuste ballen ... Waffen liefern, Kriege schüren, dann verschließen jene Türen, die vom Blutvergießen in Sicherheit führen ... Die maroden Boote derer, die es wagen ... Oh, Ägäis, deine neuen, brutalen Sagen ..."
Der Rhythmus ist ein wenig holperig, wie auch an manchen Stellen des Buches die Reime innerhalb von Sätzen. Doch das kann als eine individuelle Eigenheit genommen werden.
Nicht zu vergessen sind die anderen Erzählungen. Hier gibt es einige, die denselben Personen gewidmet sind und sich fortschreiben, indem sie von neuen Erlebnissen berichten.
Die Geschichten von Mo, der zusammen mit dem Ich-Erzähler auf Reisen geht um eine junge Frau, in die er verliebt ist zu treffen, schlägt viele viele Kapriolen. Schwierigkeiten ergeben sich verständlicherweise aus unkonventionellem Benehmen, Hoffnungen werden nicht immer ein Realitäten überführt, Sehnsüchte nicht immer erfüllt. Aber die Freundschaft von Mo und dem Erzähler hält, da beißt keine Maus keinen Faden ab.
Auch Georg Horvath sind mehrere Erzählungen gewidmet. Auch er auf Reisen, auf der Suche.
Auch er konfrontiert mit surrealen Situationen, mit Fallen.
Der letzte Text ist ein tragik-komischer. Ein Enkel, momentan auf Reisen mit zwei Freundinnen, in beide ist er verliebt, ein Großvater, dazwischen eine Mutter, sind die Personen der Geschichte. Der Großvater hat nicht mehr lange zu leben, der Enkel erinnert sich an das blaue Hemd, das der Großvater ihm einmal gab und mit dem er durch den Fluss schwamm. Nun soll der Großvater ein maßgeschneidertes blaues Hemd bekommen, für die letzte Reise. Im Fluss, der alles mit sich fortträgt.
So beschließt der fantasiebegabte, fabulierfreudige und erfinderische Großvater, den der Leser seit dem ersten Roman Stanisics kennt und ins Herz geschlossen hat, diesen Band mit zwölf Geschichten, die aus einem Guss und doch sehr sehr vielfältig sind. Eins ist ihnen mit Sicherheit gemein: sie sind Fallen, die den Leser nicht mehr so schnell entlassen.
Und die klar machen: es geht um "Verwortung."
Sasa Stanisic: Fallensteller
Luchterhand Literatur-Verlag, 2016, 288 Seiten