Omar Youssef Souleimane - Der letzte Syrer

Der Debütroman des 1987 in Damaskus geborenen Schriftstellers Omar Youssef Suleimane spielt im Jahr 2011 in Syrien. Der Arabische Frühling erwacht, mit ihm explodiert die Gewalt des Regimes. Anhand einiger Personen zeichnet Souleimane den Weg nach, den die Revolution nahm, von den großen Hoffnungen auf Freiheit bis hin zu den Folterkellern des  Geheimdienstes.

 

Sie sind alle Mitte zwanzig, Studenten, Handwerker oder Taxifahrer in Damaskus oder Homs. 

 

Da ist die umtriebige Joséfine, die die Aktivistengruppe Daou gegründet hat, Demos in verschiedenen Städten organisiert und diese filmt, um der Welt zu zeigen, was in Syrien passiert. Die auch sehr früh erkennt, welche Gefahr die Muslimbrüder, Islamisten und Dschihadisten für die Revolution bedeuten: 

 

"Was wollen sie? Einen islamischen Staat? Sieh mich an. Ich bin ein freier Mensch. Ich will das Regime nicht stürzen, um an seiner Stelle neue Diktatoren an der Macht zu sehen, die die Frauen zwingen, Schleier zu tragen."

 

Teil der Freiheitsrechte ist für Youssef, der wegen seiner Homosexualität ständig damit rechnen muss, im Gefängnis zu landen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

Er lebt in Homs, arbeitet dort in der "Zentrale", einer Art Hauptquartier der Revolution, mit, lernt über ein Dating-portal Mohammad kennen, sie treffen sich heimlich in Damaskus. Mohammad hat sich zum Schein mit einer Frau verlobt, er ist sich auch noch nicht ganz sicher, ob er vielleicht doch "normal" ist.

 

Souleimane entwirft ganz unterschiedliche Charaktere,

die der Wille zur Veränderung und Freiheit eint. Die Wege, die sie wählen, sind ebenfalls verschieden: friedlich oder  bewaffnet? Soll es eine gewisse strategische Zusammen-arbeit mit der islamischen Miliz geben? und andere Fragen werden gestellt. 

Er zeichnet seine Figuren aber auch als junge Menschen, die sich verlieben, sich gegen die Ansprüche der Familie wehren, sich fragen, ob sie das richtige Fach studieren, die sich auch nach einen "normalen Leben" mit Partys, Strand und Spaß sehnen.

 

Ein eigener Strang innerhalb des Romans sind die Mails, die Youssef und Mohammad austauschen. Über drei Monate hinweg schreiben sie sich und besprechen, was im Land vor sich geht. Die Themen sind die zunehmende Stärke des politischen Islam und die Unterwanderung des Kampfes für Demokratie durch die vom Ausland finanzierten Muslim-brüder. Sie sprechen über die Situation der Flüchtlinge, über Anschläge und Armut, über das alte französische Damaskus, über Rache und die Wichtigkeit, seine Menschlichkeit zu bewahren. Sie erzählen sich aber auch von ihren ganz persönlichen Wünschen, Zweifeln und Ängsten, erinnern sich an Begebenheiten aus ihrer Kindheit.

 

So webt Souleimane eine immer dichter werdende Geschichte, die die Individuen porträtiert und zugleich die gesellschaftliche Entwicklung darlegt. 

 

Er zeigt auch, dass die ganze Situation immer gefährlicher wird, alle sich die Frage stellen müssen, ob sie weiter-kämpfen oder doch ins Exil gehen. 

 

Anhand einer Figur fächert der Autor auf, was es bedeutet, vom Geheimdienst verhaftet zu werden. Chalils Vergehen:

er ist Mitglied einer oppositionellen Gruppe.

"Man hat ihn in das Folter- und Todeszentrum des Regimes gebracht." Er wird auf brutalste Art gefoltert.

Diese Passagen sind kaum zu ertragen, doch wie sonst sollte man über Folter schreiben? Es geht Souleimane nicht um die Darstellung von Gewalt, sondern um die Darstellung von Macht und Zynismus. Der Offizier sagt:

 

"Für deine Kameraden bist du vielleicht ein Held, aber in Wahrheit bist du nur ein Verräter. Du musst begreifen:

Wir sind die Macht. Ihr, ihr seid nichts. Wir können euch in wenigen Tagen zerschmettern. Ich habt Glück, dass wir es auf die sanfte Tour durchziehen."

 

Noch immer ist der Albtraum nicht vorbei, mehr als zehn Jahre nach Beginn des Krieges. Das Land Syrien gibt es nicht mehr, sagte Omar Youssef Souleimane, der im französischen Exil lebt, in einem Interview:

 

"Nach all den Jahren des Krieges glaube ich, dass Syrien nicht mehr existiert. Es existiert nur in der Erinnerung der Syrer, egal ob sie sich im Land oder außerhalb befinden. Was bleibt, ist der Traum, der sie begleitet, wo immer sie sind. Der Traum, in einem Land ohne Gewalt und ohne Diktator zu leben. Dieser Traum ist der letzte Syrer."

 

Der Roman endet mit einem Traum Chalils. Er träumt von einem Wiedersehen mit Joséfine. Auch das wird wohl ein Traum bleiben.

 

Mit diesem eindringlichen, so poetischen wie schmerz-haften Roman, der sowohl von der Stimme des Erzählers, als auch von den Dialogen der Figuren lebt, ruft Omar Youssef Souleimane einen Krieg ins Gedächtnis, der im Ausland fast vergessen ist. Darüber hinaus macht er jenseits dieses bestimmten Krieges deutlich, dass das Recht auf Selbst-bestimmung die Grundlage des Lebens ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Omar Youssef Souleimane: Der letzte Syrer

Aus dem Französischen von Christiane Kayser

Lenos Verlag, 2022, 197 Seiten

(Originalausgabe 2020)