Bekim Sejranovic - Ein schönerer Schluss

Zwischen Bosnien und Norwegen spielt dieser Roman, in dem der Ich-Erzähler auf sein turbulentes Leben blickt.

Er sitzt "in der alten Hütte auf Groß-vaters Ranch", mit einem Schreibheft vor sich, nichts als Einsamkeit um sich und vielen vielen Stimmen im Kopf. Auch um diese zu bannen, versucht er seine Erinnerungen zu Papier zu bringen. Klarheit zu schaffen, vielleicht so etwas wie eine Identität zu finden, vor allem aber einen schönen Schluss. Beim Schreiben hat man dies in der Hand.

 

Der Roman ist eng an das Leben Bekim Sejranovics ange-lehnt. Der 1972 in Bosnien-Herzegowina geborene Schrift-steller setzte sich nach Norwegen ab, um dem Militärdienst zu entgehen. Er wurde Norwegisch-Lehrer, arbeitete an der Uni, als Übersetzter und vielleicht auch als Briefträger, wie sein alter ego. Irgendwann kehrte er auf den Balkan zurück, wo er 2020 verstarb.

 

Der Ich-Erzähler, ein unruhiger Geist, hält es nirgendwo lange aus. Mehrfach verlässt er Oslo, reist durch Brasilien und Indien, streift über den Balkan, kehrt wieder zurück nach Norwegen, verdingt sich als Dozent, Dolmetscher, Gärtner oder Briefträger, er ist nicht wählerisch. 

 

Nun, zu Beginn der 2000er Jahre, ist er in Bosnien. 

"Hier bin ich schon geraume Zeit, ich fühle keine Unruhe mehr. Ich fühle mich wie ein Mensch, der einmal eine Geschichte schreiben wollte, was ihm aber nicht gelang, weil die Geschichte die Kontrolle über die Wirklichkeit übernahm. Es war nicht mehr klar, was wirklich ist, die Geschichte oder das Leben. Und ob das Leben die Geschichte schreibt, oder ob es vielleicht umgekehrt ist."

 

Nach und nach entfaltet er die Geschichte, die sein Leben ist.  Er schreibt über seine Arbeit an der Uni, die Trennung von seiner "Ex". Seine Angst, Einsamkeit, Langeweile, sein Verhältnis zur Natur, seine Erfahrungen mit Rassismus in Norwegen, aber auch in Bosnien. Er beobachtet die Islamisierung nach dem Krieg in den 1990er Jahren, erlebt, wie Wahabiten verlassene Dörfer übernehmen und sich anschicken, ihren Glauben zu verbreiten. Er bekommt einen Hund geschenkt, zu dem er uneingeschränkte Liebe empfindet und "vielleicht das einzige Mal im Leben" wirklich glücklich ist.

  

Einen breiten Raum in seinem Roman nimmt die Beziehung zu Cathrine ein.

 

"Am Anfang hat mir das Schreiben geholfen, aber mit der Zeit wurde es langweilig, über den Alltag in der Hütte zu schreiben. Deshalb habe ich von der anderen Seite des Schreibhefts über Cathrine geschrieben, aber es bereitet Schmerzen, in den Gräben der Erinnerung zu graben." 

 

Er lernt sie am Flughafen in Oslo kennen, sie ist deutlich älter als er, es geht jedoch sehr schnell und die beiden werden ein Paar. Cathrines Ex-Mann kommt aus Mazedonien, sie hat eine alte Liebe zu diesen Ländern, spricht ihre Sprache. Eine Zeitlang sind sie glücklich wie Kinder, als jedoch Cathrine von der Geliebten immer mehr zur Mutter mutiert und dann auch noch die Rolle der Psychologin übernimmt, erodiert die Beziehung. Sie geht schließlich zu Ende.

 

In diese Erzählung sind weitere Personen eingeflochten, außerdem springt Bekim Sejranovic in seinem Roman ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Ländern und Mentalitäten, Personen mit ganz unterschied-lichen Problemen hin und her. Dabei entwickelt sich aus einer Rückschau auf das eigene Leben ein weites Panorama.

 

Sprachlich verfügt er über verschiedenste Tonlagen. Neben flapsigen Dialogen mit Freunden, launigen Beschreibungen einer Party oder nüchternen Berichten über einen ganz normalen Tag, Informationen über besondere Ethnien in Bosnien, stehen die großen Fragen nach Liebe und Glück, nach den Quellen menschlicher Angst oder wie der Tod eines geliebten oder ehemals geliebten Menschen das eigene Leben verändert. 

 

Eine Frage stellt er sich immer wieder:

"Was suchst du überhaupt in dieser Einöde, in der bärtige Typen herumkurven und wo die einzigen Personen, die du kennst, ein einäugiger Cousin und seine hochnäsige Schwester sind. Seine Schwester?"

 

Diese Schwester ist nicht so hochnäsig, wie er dachte. 

Sie ist eine patente und eigenwillige Frau mit einer Vor-stellung von der Zukunft. Und sie ist es auch, die ihn dazu bringt, aus dem Schreibheft einen Roman zu machen.

 

Mit seinem unterhaltsamen, nachdenklichen, vielschichtigen und selbstironischen Roman erschreibt sich Bekim Sejranovic sein Leben, fügt seine Erinnerungen und Vorstellungen zu einer Geschichte zusammen und findet einen in meinen Augen schönen Schluss. Schöner als erwartet,  zu lesen im "Epilog".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bekim Sejranovic: Ein schönerer Schluss

Aus dem Bosnischen von Klaus Detlef Olof

folio Verlag, Transfer-Bibliothek, 2022, 304 Seiten

(Originalausgabe 2010)