Francoise Sagan - Blaue Flecken auf der Seele
Dieser Roman der gefeierten Autorin, die mit Bonjour Tristesse im Alter von achtzehn Jahren auf einen Schlag berühmt wurde, ist eine ganz besondere Komposition aus der Geschichte um das Geschwisterpaar Sébastien und Eléonore, beide nicht mehr ganz jung, aber noch immer so attraktiv wie eh und je, und den Reflexionen der "Skribentin". So entsteht eine flirrende Mischung aus Realität und Fiktion, ein Hochgenuss.
Der Roman spielt in den Jahren 1971 und 72, vornehmlich in Paris. Die Geschwister Van Milhem kommen gerade "von einem langen Aufenthalt bei einem Ehemann von Eléonore in Skandinavien" zurück, "und ihre Lage sah übel aus."
Dieser Ehemann ist in Wahrheit ein Ex-Mann, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt.
Beide haben nie gearbeitet, sie verstanden es immer, wohl-meinende Gönner zu finden. Die erste Sorge Sébastiens und Eléonores gilt also der Suche nach "jemandem", der sie "eine Zeitlang aushalten würde."
Nüchtern stellt der vierzigjährige Sébastien fest:
"Es wird unvermeidlich sein, dass ich mit mir selbst zahle".
Es findet sich die reiche Amerikanerin Nora Jedelman, ganz selbstverständlich sorgt sie nicht nur für ihren Geliebten, sondern auch für dessen Schwester.
Die Verbindung der beiden Geschwister ist auffallend eng.
Sie sind von gleichem Temperament, gleicher Diskretion, beiden ist eine aristokratische Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber eigen, die auf andere arrogant wirkt.
Sie sind einander so verbunden, dass Sébastian sich ebenso als ihr Sklave fühlt, wie sie der seine ist.
In den ersten beiden Dritteln des Buches hält Francoise Sagan die Welten ihrer Figuren und ihre eigene streng getrennt. Wie Marionetten hängen sie an den Fäden der Erzählerin, die sie im übrigen aus einem ihrer eigenen Theaterstücke entliehen hat. In "Ein Schloss in Schweden", uraufgeführt 1960, tauchen sie ebenfalls auf, Anspielungen auf dieses Stück ziehen sich durch den Roman.
Ebenso Ereignisse aus dem Leben Sagans, wie ihren schweren Unfall 1957, ihren Ruf, den sie sich nach Bonjour Tristesse erworben hatte, Reflexionen über Kritiker oder LeserInnen, ihre Liebe zum Luxus oder die Blessuren, die die Liebe ihr zufügte.
Sie betont, dass es "in diesem Buch kein einziges autobio-grafisches Element geben" wird, doch sie spielt ein faszinie-rendes Spiel mit Realität und Fiktion, indem sie den Pfad der strikten Trennung verlässt:
"Ich fange an, alles durcheinanderzuwerfen. Eléonore und mich, ihr Leben und meins, und das ist richtig so, denn es ist meine Absicht, wie der getreue Leser sehen wird, wenn er ans Ende dieses bizarroiden Textes gelangt."
Vielleicht steckt in keinem anderen Roman so viel von der "Skribentin" wie in diesem.
In den Teilen, in denen sie ganz offensichtlich als Autorin von sich selbst spricht, den LeserInnen ihre Ansichten über Liebe, Erotik, Leben, Sterben, Tod oder Drogen, ihre Über-legungen zu Mythomanen und Literatur bzw. Schriftstellern, über Arbeit und Faulheit, über Unglück, Suizid und allerhand mehr mitteilt, entwickelt sie ein weiträumiges Tableau ihres Denkens.
In ihrer direkten Art, immer wieder die LeserInnen ansprechend oder einbeziehend ("Und Sie, liebe Leser, wie leben Sie?"), darüber reflektierend, wie die Geschichte weitergehen soll ("Ich hätte gern geschrieben ..."), oder auch mit ihrer Haltung ihren Figuren gegenüber ("Wir erkannten uns natürlich. Wir hätten jede unserer Gesten, jedes unserer Wörter austauschen können, und von dieser Tatsache sprachen wir sehr höflich, wir wichen uns beinahe aus"), tritt Francoise Sagan in einen Dialog.
Mit sich selbst, Eléonore, Sébastien, einigen weiteren Neben-figuren, den LeserInnen.
Sie zeichnet das Milieu der Nachtclubs, der Leidenschaften, Enttäuschungen, der ewigen Suche nach Freiheit und gleich-zeitiger Angst vor Einsamkeit.
Diese Welt erscheint aus heutiger Sicht vergangen, "La Sagan" aber schreibt über Themen, die bleiben.
Francoise Sagan: Blaue Flecken auf der Seele
Aus dem Französischen von Eva Brückner-Pfaffenberger
Wagenbach Verlag, 2022, 144 Seiten
(Originalausgabe 1972)