Olga Ravn - Die Angestellten
Ein Roman über Arbeit im 22. Jahrhundert
Dieser ungewöhnliche Roman spielt auf dem "Sechstausender-Schiff" irgendwo im Universum. An Bord sind Menschen und Humanoiden - ihre "Zeugenaussagen" berichten vom Leben auf diesem Raumschiff, nachdem auf dem Planeten "Neuentdeckung" ver-schiedene Gegenstände aufgenommen wurden. Diese verändern die Atmosphäre der Räume und bringen die "emotionalen Reaktionsmuster" der Besatzung durcheinander.
"... jedenfalls kann man vom Panoramaraum aus das Tal sehen, in dem wir die Gegenstände gefunden haben, und das ist ein ganz unglaublicher Anblick, ihr solltet eines Tages mitkommen, wir strömen allesamt dort oben zusammen, wenn unsere Aufgaben es zulassen selbstverständlich, Menschliche und Humanoide auf einem Haufen, alle sind fröhlich beim Anblick des Tals, es ist jedes Mal dasselbe.
Es ähnelt ja ein bisschen dem, was man von zu Hause kennt, nicht wahr?"
Die Aufforderung "ihr solltet eines Tages mitkommen" richtet sich an den Ausschuss, der sämtliche Angestellte zur Beziehung zwischen ihnen und den Objekten befragt, um zu erkennen, wie diese sich auf die Arbeitshaltung und Produktivität der Angestellten auswirkt.
Die Düfte verströmenden Objekte wirken sich auf Menschen und Humanoiden gleichermaßen aus, sie wecken Sehnsüchte. Sehnsucht nach romantischer Liebe, nach Kindern (auf dem Schiff gibt es nur Kinderhologramme), nach der Natur, nach all dem, was es nur auf der Erde, "zu Hause", gibt. Dieses Zuhause existiert in den Köpfen mancher Menschen noch, die Erinnerungen lassen sie träumen.
Erstaunlich ist, dass auch die "Erschaffenen" Gefühle entwickeln, man würde das nur von den "Geborenen" erwarten. Letztere sind die, die sterben können, für sie gibt es einen Leichenbestatter an Bord. Die in kurzer Zeit zusammengebauten und einsatzfähigen Unsterblichen, die bei Bedarf einfach ein Update erhalten, scheinen jedoch angesteckt von den Sehnsüchten der Menschen.
All die Zeugenaussagen, zusammengedacht mit dem Untertitel des Romans, verweisen auf die Entmenschlichung der Arbeit, die alles der Produktionssteigerung unterordnet, die Erinnerungen der Menschen aber nicht schnell genug löschen kann.
Vor allem Düfte halten sie am Leben, "als kämen sie aus unseren Träumen oder aus einer fernen Vergangenheit, die wir tief in uns tragen wie eine Erinnerung ohne Sprache.
Wie eine Erinnerung daran, eine Amöbe oder ein einzelliger Organismus gewesen zu sein..."
Der aus den nummerierten Aussagen und einem "Nachtrag" bestehende Roman ist bedrückend gut. So hart der Inhalt ist, so ruhig, poetisch und melancholisch ist der Ton, die Zitate vermitteln einen Eindruck davon.
Die Rebellion verbirgt sich in der Hoffnung, so absurd sie klingen mag: "Bald sind wir verschwunden wie veraltete Updates. Ich glaube daran, dass ich einer großen Liebe begegnen werde".
Der vielstimmige Chor erzählt davon, wie entmenschlichend Arbeit sein kann, wenn sie alleine lebensbestimmend wird.
"Mein menschlicher Kollege spricht manchmal davon, nicht arbeiten zu wollen, und dann sagt er etwas sehr Merk-würdiges, etwas ganz Albernes, wie war das noch gleich?
Er sagt Man ist mehr als seine Arbeit, oder war es Man ist nicht bloß seine Arbeit? Aber was sollte man sonst sein?"
Immer deutlicher werden die Zweifel der Angestellten, ob alles richtig ist, wie es ist. Diese Frage sollten sich auch die LeserInnen dieses kleinen, großen Romans stellen, der von Alexander Sitzmann nuancenreich, fließend und all die poetischen Beschreibungen trefflich fassend ins Deutsche übertragen wurde.
"Die Angestellten" ist Olga Ravns erster Roman. Die 1986 in Kopenhagen geborene Schriftstellerin veröffentlichte bislang einige Gedichtbände - vor diesem Debüt kann man nur den Hut ziehen.
Olga Ravn: Die Angestellten -
Ein Roman über Arbeit im 22. Jahrhundert
Aus dem Dänischen von Alexander Sitzmann
März Verlag, 2022, 143 Seiten
(Originalausgabe 2018)