Stefan Zweig - Buchmendel / Die unsichtbare Sammlung

Zwei Novellen

Zwei Novellen, beide erstmals 1929  in dem Band "Vier Erzählungen" erschienen, spielend in der sächsischen Provinz und in Wien, jener Stadt, in der Zweig 1881 zur Welt kam, sind in diesem außerordentlich schön gestalteten Buch vereint. Beide bewegen sich

in der Welt der Kunst, nicht aber der der Künstler. Ein Sammler und ein Händler sind die Protagonisten,                                                         beide werden Opfer der Politik.

 

Die erste Novelle handelt von einem Sammler, der über Jahrzehnte hinweg sein ganzes Geld für alte Graphiken ausgibt: nun besitzt er eine Kupferstichsammlung, die manches Museum vor Neid erblassen ließe.

 

Ein Berliner Händler erinnert sich an diesen Mann und macht sich auf den Weg in die Provinz - er ist auf der Suche nach Ware. Kunst als Handelsgut und Geldanlage.

Denn: es sind die zwanziger Jahre, Geld ist nurmehr Papier, die "neuen Reichen" haben plötzlich ihr Herz für die Kunst entdeckt, "man kann ihnen gar nicht genug herzaubern".

 

Der Händler findet den Sammler, dieser ist hocherfreut, einmal einen echten Kenner, noch dazu aus der Hauptstadt, vor sich zu haben, und ihm seine außergewöhnliche Sammlung zeigen zu können. Der Händler erkennt auf den ersten Blick: der alte Herr ist blind.

 

Und erfährt auch bald von der Tochter, dass die Familie gezwungen war, viele Blätter zu verkaufen, anders hätte

sie nicht überleben können. Das alles freilich hinter dem Rücken des Vaters, dessen Herz nicht nur für, sondern geradezu in der Sammlung schlägt. Das Geld für die verkauften Blätter war jedoch schon wertlos, als es auf der Bank ankam -  die galoppierende Inflation kurbelte den unfreiwilligen Verkauf weiter an - der Vater schaut nun mit seinen blinden Augen auf leere Blätter, die anstelle der Graphiken in den Mappen liegen.

 

Der Händler hat nicht die Absicht, Frau und Tochter zu verraten, er spielt dieses "Spiel" mit, ein wenig auch deshalb, weil er ja selbst gekommen war, um zu kaufen.

 

"Nein, ich kann es Ihnen nicht schildern, wie gespenstisch  das war, mit ihm diese hundert oder zweihundert leeren Papierfetzen oder schäbigen Reproduktionen anzusehen,

die aber in der Erinnerung dieses tragisch Ahnungslosen so unerhört wirklich waren, daß er ohne Irrtum in fehlerloser Aufeinanderfolge jedes Einzelne mit den präzisesten Details rühmte und beschrieb: Die unsichtbare Sammlung, längst in alle Winde zerstreut, war für diesen Blinden, für diesen rührend betrogenen Menschen noch unverstellt da, und die Leidenschaft seiner Vision so überwältigend, daß beinahe auch ich schon an sie zu glauben begann."

 

Als der Händler geht, ist er ganz "betäubt" von dem Erlebnis, jedoch:

"Was ich aber mitnahm, war mehr: Ich hatte wieder einmal reine Begeisterung lebendig spüren dürfen in dumpfer, freudloser Zeit, eine Art geistig durchleuchteter, ganz auf die Kunst angewandter Ekstase, wie sie unsere Menschen längst verlernt zu haben scheinen."

 

Dieser Sammler aus Leidenschaft, der seine Bilder auswendig kennt, wird zum Opfer seiner Zeit.

Ein unermesslicher Wert, sowohl finanziell als auch kunst-historisch, wird in Folge des Krieges in alle Welt zerfleddert.

Die Kunst wird zur Ware, der Händler zum Betrüger.

 

Illustriert wurde diese Novelle von Florian L. Arnold, der dafür mit Tuschfeder Zeichnungen erschuf, die sich "mit Elementen der klassischen Kupferstichtechnik, wie Zweig sie beschreibt, kreuzt. " Er inszeniert die Novelle als existentielles Drama, als Kampf zwischen Absurdem und Groteskem, als Drama zwischen Blindheit und einem "Augenmonster"  das auf seine, für ihn nur mit dem inneren Auge sichtbaren, Schätze blickt. 

Diese allerfeinsten Zeichnungen erzählen in Bildern die Tiefenschicht des Textes, der bei aller Tragik auch komische Elemente in sich trägt. 

 

 

Die zweite Novelle handelt von einem Mann, dessen Gedächtnis ein Katalog aller Bücher ist, die irgendwann, irgendwo erschienen sind und zum Verkauf angeboten wurden. Er ist ein aus dem polnisch-russischen Grenzgebiet stammender Jude, seit drei Jahrzehnten in Wien lebt und, da er keine Konzession für ein Ladengeschäft hat, seinen Handel im Café Gluck betreibt. Dort sitzt er an seinem Tisch, liest, "wie andere beten, wie Spieler spielen und Trunkene betäubt ins Leere starren..."

 

Wichtig sind ihm jedoch nicht der Sinn oder Gehalt der Bücher, sondern Titel, Preis, Erscheinungsjahr etc.

In all diesen Dingen ist er unfehlbar.

 

Der Erzähler dieser Geschichte kommt nach zwanzig Jahren wieder in das Café Gluck und erinnert sich an Jakob Mendel, der von allen "Buchmendel" genannt wird.

Dort bewahrt einzig die Toilettenfrau des Cafés das Gedenken an den Antiquar und erzählt seine Geschichte. 

 

Weil er keine Zeitungen las, hatte er nicht mitbekommen, dass Krieg herrscht. Er korrespondierte wie immer mit Buchhändlern in Paris oder London, er hatte sich nie um

eine österreichische Staatsbürgerschaft gekümmert - nun gerät er in die Schusslinie der Geheimpolizei, wegen Spionage. Auf die Verhaftung folgen zwei Jahre Haft "in einem Konzentrationslager russischer Zivilgefangener."

 

Nach der Rückkehr ist Mendel ein gebrochener Mann.

Das Café wechselt den Besitzer, dieser hält nicht mehr seine Hand über den so besonderen Gast. Lange lebt er nicht mehr,

"eine Schand war´s, wie man ihn hat sterben lassen."

"Ja, eine Schand war´s, gschämt hab ich ich bis in die unterste Seel  ...  Aber die Leute von heut, die haben ja kein Herz.

Einen wegzutreiben, der über dreißig Jahre wo gsessen ist Tag für Tag - wirklich, eine Schand wars, und ich möchts nicht zu verantworten haben vor dem lieben Gott - ich nicht." 

 

Die Toilettenfrau, der es peinlich ist, "mit ihrer schmutzigen Schürze und ihren zerstrubbelten weißen Haaren hier mitten im Kaffeehausraum zu stehen", ist diejenige, die Schuld empfindet. Sie, die sich nichts hat zu Schulden kommen lassen, die sich um Jakob Mendel gekümmert hat soweit es ihr möglich war, bis zum Schluss.

 

Auch diese Novelle ist ein Text zum Thema "Neue Zeit"

oder "Kriegszeiten".

 

Meisterhaft auch hier die Illustrationen, ausgeführt von Joachim Brandenberg.

Ebenfalls sehr fein, in Schwarz-Weiß und den Geist der Geschichte dramatisierend.

Mendels zerbrochene Brille gleicht einem zerbrochenen Welt-Spiegel, ein von Stacheldraht umwundenes Buch und ein Gesicht, aus dessen Augen Papierstreifen wachsen, bebildern eine Textstelle, die im Gedächtnis haften bleibt:

 

"Der grauenhafte Blutkomet mußte in seinem rasenden

Lauf schmetternd hineingeschlagen haben auch in den abseitigen, friedlichen, in diesen halkyonischen Stern seiner Bücherwelt. Seine Augen, jahrzehntelang gewöhnt an die zarten, lautlosen, insektenfüßigen Lettern der Schrift,

sie mußten Furchtbares gesehen haben in jener stacheldrahtumspannten Menschenhürde, denn die Lider schatteten schwer über den einst so flinken und ironisch funkelnden Pupillen ..."

 

Über die Zeichnungen verstreut sind Buchstaben,

sie kommen von den Sternen oder werden zu diesen,

sie sind die verbleibenden Lichter in dunklen Zeiten.

Kaum mehr als ein Versprechen.

 

 

Zwei Illustratoren, ein fundiertes Nachwort, Zweigs allerletzter Text, die "Declaracao" vor seinem Selbstmord 1942 in Brasilien, eine Übersicht über Zweigs Werk,

eine Fotocollage, illustrierte Vorsatzblätter, feines Papier, Hardcover und nicht zuletzt die rote Fadenheftung machen aus diesem Buch ein Gesamtkunstwerk, das keine Wünsche offen lässt.

 

Bei einem solchen Werk darf nicht unerwähnt bleiben, dass es aus einem jungen und kleinen Verlag stammt (gegründet 2015), der bisher vier belletristische Bücher sowie vier

Kunst- & Konzeptbücher verlegt hat.

Eines ist schöner als das andere.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Zweig: Buchmendel / Die unsichtbare Sammlung

Zwei Novellen

Illustriert von Florian L. Arnold und Joachim Brandenberg

Topalian & Milani, 2016, 152 Seiten Großformat