Hüseyin Yurtdas - Der Verkrochene

Das Buch trägt die Bezeichnung `Roman´- eine Handlung im klassischen Sinne hat er nicht.

Es wird keine Geschichte erzählt,

es finden keine Dialoge statt.

Die Anzahl der Figuren ist sehr begrenzt. Übermächtig ist ein Ich, das in kurzen Abschnitten von sich und seinen Gedanken erzählt.

Es taucht ein merkwürdiger Freund auf, es gibt einen Mitbewohner während der Studentenzeit, es gibt eine junge Frau, die ihm für kurze Zeit gefällt. Der Ort ist seine heruntergekommene Wohnung, ein wenig bewegt er sich durch eine Stadt, selten geht er in eine Kneipe, noch seltener besucht er den seltsamen Freund, der auch eher mit sich selbst beschäftigt ist.

 

Immer wieder kommt er auf seine Familie zu sprechen - sie scheint ein Quell des Übels zu sein. Der Großvater ist ein "Schuft", der Vater ein "Schwindler", die Mutter verwehrt ihm sogar die Brust, mit Schlägen auf die Lippen. Ohne elterliche Liebe muss er aufwachsen, ist ein Außenseiter in der Familie, darunter leidet er ein Leben lang.

Er sucht nach Anerkennung, nach einem richtigen Freund, Gesellschaft, nichts davon findet er. Seine Katze ist das einzige Wesen, das in seiner Nähe lebt, leben kann.

 

Er kämpft mit den Gefühlen Neid, Hass, Wut vor allem, er bezeichnet sich als Feigling und Angsthase.

Er ist "zerrissen, wankelmütig, sogar böse".

 

Was für ein Mensch ist das? "Ich bin ein Abbild unserer Zeit."

 

In was für einer Zeit leben wir, frage ich mich da.

 

"Die Selbstverliebtheit der Menschen ekelt mich an", sagt er.

Was er sieht, sind "Moderne Geschöpfe als Zerrbilder des Menschen".

 

Er selbst seziert sich gnadenlos. Ist sich seiner "Käferhaftig-keit bewusst."

 

Er erscheint wie ein moderner Gregor Samsa, Held der Erzählung "Die Verwandlung" von Franz Kafka aus dem Jahr 1915.

Er selbst legt sich unter die Lupe und seziert sich, als wäre er ein Insekt. Das, was Samsa nach seiner Verwandlung erlebt, die soziale Isolation durch seine Familie, die schließlich zum Tode führt, ist die Lage des Ich-Erzählers.

 

Mit einem ganz anderen und unerwarteten Ende.

Das könnte aber auch gelogen sein. denn der Erzähler bemerkt an mehr als einer Stelle, was für ein Lügner er ist.

Nebst Feigling und Angsthase - ist er das wirklich?

 

Die kurzen Abschnitte - ein Gedanke kann über zwei Seiten verfolgt werden, manchmal steht nur ein Satz auf einer Seite - entwickeln einen Sog, der mich in diese Nicht-Geschichte hinein gezogen hat. Gedanken über das Wesen des Menschen, seine Bedürfnisse, über Philosophie werden eher angerissen als ausdiskutiert, der Roman ist eine deutliche Aufforderung an die LeserInnen, die Überlegungen selbst weiterzuspinnen. 

 

Der erste Satz lautet: "Ich bin ein Idiot." 

Idiot kommt aus dem Altgriechischen (idiotes) und bedeutet zunächst schlicht "Privatperson", "gewöhnlicher Mann". 

Die negative Aufladung erhält das Wort erst später.

 

Hier stellt sich ein Mann all den dunklen Gefühlen, die in ihm toben, die sich nicht weglächeln lassen.

Es ist kein bequemes Buch, man kann sich nicht hineinlegen und sich erfreuen. Aber lesen sollte man es unbedingt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hüseyin Yurtdas: Der Verkrochene

Aus dem Türkischen übersetzt von Barbara Yurtdas

Elif Verlag, 2020, 120 Seiten

(Originalausgabe 2016)