Julius Thesing - You don´t look gay
Was für ein schönes ROSA - aber bloß nicht für das Kinderzimmer eines Jungen. Das sollte bitteschön hellblau sein. Es könnte ja sonst etwas schief gehen in seinem Leben. "Nicht auszudenken, was ein rosa Kinder-zimmer mit dem armen Jungen machen würde. Am Ende will er noch Prinzessin spielen, wo er doch einen so starken Prinzen abgegeben hätte."
Mit der Tapete, mit dem Strampelanzug des Babys fängt es an: die Festlegung auf eine Rolle. Eine Norm.
Was, wenn sich ein Mensch im Lauf seiner Entwicklung davon wegbewegt?
Diese Frage stellt sich der Autor und Illustrator Julius Thesing (geb. 1990) in seinem Buch, das sehr persönlich von seinem Coming-Out erzählt.
Mehrere Stränge fügt er zusammen: er wartet mit Zahlen auf, mit Zitaten wichtiger Politiker, mit eigenen Erlebnissen. Kein Part davon ist weniger interessant, am mutigsten ist natürlich der Blick in sein Leben, den er gewährt.
Text und Illustrationen stammen von Thesing, der auf konturierte schwarz-weiß Bilder mit ein wenig rosa setzt.
Die sparsam gezeichneten Figuren drücken allesamt tiefe Gefühle aus. Unsicherheit, aber auch das geduldige Warten auf das Reifen eines zarten Pflänzchens, die schöne Ruhe eines glücklichen Paares, sehr häufig aber Angst, denn die Bedrohungen werden weltweit nicht geringer.
So wird Homosexualität beispielsweise in "73 Staaten der Welt .... als Straftat behandelt und verurteilt. ... In 12 davon steht gleichgeschlechtliche Aktivität unter Androhung oder Garantie der Todesstrafe."
Und bei uns, hier, im toleranten Westen?
Hier dauert es in einer Ansammlung von Fußballfans keine halbe Minute bis der erste Schwulenwitz fällt.
Vielen ist nicht klar, wie beleidigend ein Wort wie `Schwuchtel´ ist, man hat es ja auch nicht so gemeint.
Julius Thesing spart aber auch nicht aus, dass innerhalb der eigenen Community keineswegs Einigkeit herrscht, in dem Sinne, dass Ausgrenzung außen vor bliebe.
Und wer meint, nun, da es die Ehe für alle gibt, sei alles gut, der täuscht sich.
Denn es geht nicht `nur´ um Gesetze, es geht um Homophobie im Alltag, im Denken fast aller - hier sollte keiner rundweg behaupten, er oder sie sei davon nicht betroffen. Es muss sich nicht in der Teilnahme an einer Straight Pride Parade äußern, es reicht die gestellte oder gedachte Frage: "Wer von euch beiden ist denn die Frau?"
Das Buch für alle ab 12 Jahren ist eine Aufklärungsschrift in vielerlei Hinsicht. In vielen Facetten spricht es letzten Endes von Selbstbestimmung und Menschenrechten.
Julius Thesing kommt dabei mit sparsamen Mitteln und prägnanten Texten aus. Er findet einen guten Weg zwischen der persönlichen und der gesellschaftlichen Ebene, er überfrachtet es nicht mit Details, er lässt jedoch keinen wichtigen Punkt aus.
Und dann hat er auch noch eine Variante eines Bildes gezeichnet, das ich sehr liebe: Botticellis Venus mit wallendem Haar, Dreitagebart und unrasierter Brust.
Vor allem aber mit einem wunderbar hingebungsvollen Gesichtsausdruck. Schön!
Julius Thesing: You don´t look gay
Bohem Verlag, 2020, 96 Seiten, vollfarbig