Katerina Schiná - Die Nadeln des Aufstands

Eine Kulturgeschichte des Strickens

Ich hätte nicht gedacht, dass ein Buch über das Stricken so interessant sein kann! Aber Katerina Schiná verfolgt so viele Verbindungslinien, entführt in die Mythologie, die Geschichte und Politik, in die Musik und Literatur, in die Mathematik und in die bildende Kunst und entstaubt damit das überkommene Bild der strickenden Oma, sehr erfrischend ist das.

 

Zunächst erzählt Schiná, geb. 1956 in Athen, von der Initialzündung, die sie zum Stricken brachte.

Die Studentin war fasziniert vom farbenfrohen Pullover einer Kommilitonin. Diesen wollte sie nacharbeiten, was nicht perfekt gelang, ihre Leidenschaft für Wolle aber nicht abkühlte, sondern anfachte.

 

1976 war das, in einer Zeit, in der Handarbeit als reaktionär galt, man war mit der Revolution beschäftigt. Las Mao und Lenin und nicht Strickanleitungen.

In Deutschland sah es ein wenig anders aus, da strickten

auch Männer im Hörsaal und in den 80er Jahren auf Parteitagen, in Griechenland galt es als "antifeministischer Anachronismus".

 

Die handgefertigte Kleidung wurde jedoch im Lauf der Jahre zu einer "persönlichen Unabhängigkeitserklärung" Schinás - unabhängig von Mode ermöglicht sie einen individuellen Ausdruck der ganzen Persönlichkeit. Und ist ein Statement gegen Wegwerfkultur, Ausbeutung von Textilarbeitern und Verschwendung von Material und Energie.

 

Sie stößt auf Bücher wie Anna Zilboorgs "Knitting for Anarchists" oder Joanne Turneys "The Culture of Knitting" (um nur zwei Beispiele zu nennen), fängt an, sich mit dem kulturellen Hintergrund zu beschäftigen.

 

Und dieser reicht zurück bis in die griechische Mythologie, nach Asien oder Amerika, überall tauchen Göttinnen auf, deren Symbole Fäden sind.

Sie macht deutlich, dass auch Fischer, Bauern und Soldaten die Nadeln schwangen, dass aus patriotischen Gründen gestrickt wurde, oder um sich vom Treiben der Welt abzu-wenden. 

Sie spürt den vielen Redenwendungen nach, in denen sich der Zusammenhang von "Text" und "Textur" zeigt, wie "den Faden nicht verlieren" oder "eine (Lügen)Geschichte stricken".

 

Ganz eindeutig liegt Katerina Schinás Augenmerk auf dem feministischen Aspekt des Strickens.

Sie geht auf  die "Tricoteuses" der Französischen Revolution  ein, die häusliche und private Tätigkeit nach außen trugen und damit einen Platz im öffentlichen Raum beanspruchten.

Bis heute ist der Begriff der Tricoteuses in Frankreich und auch in England mit einer radikalen Haltung verknüpft.

 

Löst eine strickende Frau üblicherweise die "Assoziationen von Wärme, Muße und Zärtlichkeit aus", ist es bei der Tricoteuse Gewalt und Hass. "Der Widerspruch zwischen beiden Bildern - der friedlichen Hausfrau und der revoltierenden Furie - bestätigt, wie treffend die Bezeichnung ist: die Frau als bedrohliche Summe von Gegensätzen; ...

die Nadeln symbolisieren hier ... den Ungehorsam: Sie sind eine namenlose Waffe, ein Arbeitsgerät". 

 

Viele KünstlerInnen verwenden Wolle und Nadeln als Materialien für ihre Kunst. Sei es in Form von "Meinungs-stricken", wie Katerina Schiná den in eine riesige pinkfarbene Decke gehüllten Panzer Marianne Jorgensens nennt, oder das "Virus-Stricken" des Kunstprojekts "Viral Knitting Project", für das sich Wissenschaftlerinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen zusammentaten. Zunächst untersuchte die Gruppe "die Binärcodes von zerstörerischen Computer-viren, verwandelte sie in ein Strickmuster und das wiederum in eine Strickarbeit." Videos zeigen endloses Stricken an diesen Arbeiten, das auf "die unermüdlichen Räder des Kapitalismus und der Endlosigkeit von Krieg und Angst" hinweist.

 

Noch viele weitere sehr interessante Projekte und Arbeiten werden in dieser Kulturgeschichte vorgestellt, bis hin zu gestrickten oder gehäkelten mathematischen Formeln und Gesetzen, wie die "Lorentzsche Mannigfaltigkeit" oder die "Fibunacci-Zahlen" in Form einer Ananas. 

Diese beiden Arbeiten aus Wolle sind auch auf zwei der Fotos zu sehen, die den Texten an die Seite gestellt sind.

Weitere zeigen die anderen Werke, auf die die Autorin eingeht.

 

Abgerundet wird das Buch von einer "Poetischen Nachlese" mit so unterschiedlichen Gedichten wie Pablo Nerudas "Ode an die Socken", Emily Dickinsons "Herbst - sah sich mein Strickzeug an" oder Jackie Kays "Die Stickerin", die mit dem Satz "Ich strick, um den Tod fernzuhalten" endet.

 

Oder, wie die Feministin Susan Gordon Lyndon es ausdrückt:

"Beim Stricken spürst du leise, dass du vielleicht ein uraltes Ritual ausführst. Dass du ein wenig Schicksalsgöttin bist ...

Und irgendwo im tiefsten Innern hegst du den Wunsch, dass dein Leben wie die Macht wäre, die sich zwischen deinen Fingern entfaltet. Dass du es locker im Griff hast. ..."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Katerina Schiná: Die Nadeln des Aufstands, 

Eine Kulturgeschichte des Strickens

Aus dem Griechischen und herausgegeben von Doris Wille

edition converso, 2021, 216 Seiten

(Originalausgabe 2014)