Robert Scheer - Matthäus-Passion
Ein humorvolles Roadmovie aus Israel
Lothar Matthäus, der Fußballer und Trainer (seine große Zeit hatte er in den Achtzigern und Neunzigern), dürfte nicht nur Fußballexperten ein Begriff sein. Von Mitte 2008 an trainierte er für ein knappes Jahr die israelische Mannschaft Maccabi Netanja - der Ich-Erzähler des neuen Buches von Robert Scheer war sein Dolmetscher. Scheer arbeitete zwar als Übersetzter, doch seit 2003 lebt er in Tübingen. Egal. Die Idee ist sehr gut, führt sie ihn doch nah an den ehemaligen Fußballgott heran und gibt ihm Gelegenheit, an dessen Seite eine aberwitzige Reise durch Israel zu unternehmen.
Matthäus sucht einen Mittelfeldspieler. Er wüsste schon,
wen er gerne hätte, Didi Hamann nämlich. Doch ein Mensch, der diesen Namen trägt, kommt für den Besitzer des Clubs, Rabbi Avramoff, absolut nicht infrage. Warum? Aus der Bibel weiß man doch, dass alle, die Haman im Namen tragen Nachfahren der Amalekiter sind, gewissermaßen Vorfahren der Nazis also..., so jedenfalls Rabbi Avramoff.
Avramoff schickt Lothar Matthäus und seinen Dolmetscher zu einem Spiel der dritten Liga in den Norden des Landes. Hier sollen sich die beiden einen jungen Spieler ansehen,
der das Zeug hat, ein neuer Maradona des Nahen Ostens zu werden.
Der Erzähler will nicht ohne seinen Onkel Sauberger aufbrechen. Dieser ist ein ganz besonderer Mensch.
Sein Name ist Programm: "Schweinefleisch war Onkel Saubergers Lebenselixier, und das ausgerechnet in Israel,
wo dies als unrein und nicht koscher galt. Aber das war Onkel Sauberger ziemlich wurscht. ... Wurst war seine Welt, der Dreh- und Angelpunkt seines Daseins. ..."
Onkel Sauberger ist schlau, mutig, eloquent, charmant, voller Ideen und Geschichten, immer zur Stelle, er hat eine ganz eigene Lebensphilosophie - eines des Leibes und Genusses - er ist ein warmherziger Mensch mit Freude am Abenteuer.
Er lässt sich also nicht zweimal bitten, er kommt sofort mit und rettet so manche schiefe Situation, in die das Trio gerät.
Die Suche nach einem Mittelfeldspieler führt sie an diverse wichtige Orte des Landes: nach Kafarnaum an den See Genezareth, in dem Lothar Mattäus ein Bad nimmt und mit seiner Unterhose in den Deutschland-Farben mit aufge-drucktem Davidstern die russischen Touristen begeistert.
Der Devotionalienhandel wird hier ebenso aufs Korn genommen wie die Touristenströme und die "jüdische Fantasie", die dem Erzähler "einen üblen Streich gespielt" hatte - hatte er doch zuerst ein Hakenkreuz auf der Unter-hose gesehen, das sich ja dann als Davidstern entpuppte.
Im weiteren Verlauf der Reise wird der Umgang mit Gesetzen thematisiert - "Hier in Israel sind Gesetze letztlich nur dazu da, um früher oder später gebrochen zu werden. Denn wir haben hier keine endgültige Verfassung, sondern nur einen Haufen alter und neuer Gesetze, die eben befolgt werden oder auch nicht. Gebrochen werden sie allemal, früher oder später. Das ist nur eine Frage der Zeit.... - Klingt schwer nach Anarchie - Nö, ist Naher Osten. Aber man gewöhnt sich daran." Das erklärt Onkel Sauberger dem ziemlich ahnungs-losen Matthäus, der auch stellvertretend für alle diejenigen steht, die staunend auf die Zustände im Nahen Osten blicken.
Eine Übernachtung in einem koscheren Hotel am Schabbat nutzt der Erzähler dazu, auf die Schabbat-Regeln und die Institution des Schabbatgoj einzugehen. Und zwar auf köstlichste Art, mit sehr viel Ironie. Onkel Sauberger rettet natürlich auch hier die Situation und sorgt für angemessene Ernährung.
Selbst Schweine, die unglücklich sind und das Fressen ver-weigern, bringt er wieder zur Vernunft, sprich: zum Trog.
Damit rettet er den Kibbuz und erklärt nebenbei die Sache mit dem Sozialismus und dem Kommunismus.
Man erfährt einiges über die Sitten bei den Beduinen oder den Kopten, über die Veränderungen, die die vielen russischen Einwanderer mit sich brachten, es ist zu lesen von einem Rabbi, der sich regelmäßig (und natürlich heimlich) mit Fleischwaren versorgen lässt.
Jedem Kapitel, jeder Episode sind Überlegungen zu einem Thema eingeschrieben, wohl verpackt in eine amüsante Geschichte. Es liest sich leicht und flüssig, es ist aber auch ernst und hintergründig. Das Buch ist informativ und lehrreich, aber kein bisschen belehrend. Es ist eine gelungene Darstellung der Mentalität, es findet sich weit und breit kein erhobener Zeigefinger, Onkel Sauberger ist ein trefflicher Führer durch eine besondere Region der Welt.
Drei Religionen prallen hier aufeinander, die Sonne brennt vom Himmel, die Menschen brauchen Fantasie zum Über-leben (Fantasie hat Robert Scheer im Überfluss), sie brauchen die tatkräftigen Saubergers, auch wenn oder vielleicht weil diese die Regeln nach ihrer eigenen Art auslegen.
Onkel Sauberger wird übrigens "von vielen als Wegbereiter des Arabischen Frühlings angesehen" - wie das?
Es hat mit Schweinen zu tun...
Wer gerne mehr von Onkel Sauberger lesen möchte, dem sei das Debüt Robert Scheers empfohlen:
Der Duft des Sussita, köstliche Erzählungen, ebenfalls in Israel angesiedelt. In der Besprechung dieses Buches findet sich auch eine kleine biographische Notiz zum Autor.
Robert Scheer: Matthäus-Passion
Ein humorvolles Roadmovie aus Israel
Hamsa Verlag, 2019, 224 Seiten