Rüdiger Saß - Sein letztes Lächeln - Geschichten
Gut fünfzig Geschichten auf knapp hundertfünfzig Seiten - Rüdiger Saß liebt das prägnante Wort, für große Ausschmückungen ist er nicht zu haben. Gerne wählt er den `sprechen-den Namen´, fast alle Personen tragen Namen, die recht deutlich sagen, wer diese Figur ist. Er verkürzt und verengt, gerne dreht er Redensarten um, sehr gerne flicht er eine zweite Ebene ein.
Die Protagonisten sind Randständige, Aufgeblasene oder Supernormale, solche, die aus Langeweile anfangen zu hassen. Die es lustig finden, Katzen mit Schnaps abzufüllen. Kinder, die mit Spaten aufeinander einschlagen.
Es treten Diktatoren auf, Speichellecker, kleine Bürger-meister, die nur zu gerne ihr Amt abgeben und dem dienen, der eigentlich schon immer das Sagen hatte.
Ungebetene Gäste, die man nicht mehr loswird.
Kein sympathisches Personal also, keine feinen oder eleganten Geschichten.
Es sind Geschichten, die auf Missstände hinweisen, häufig in überzeichneter Form, die ich jedoch nicht satirisch nennen möchte, denn sie zielen nicht auf die Pointe ab.
Da gibt es zum Beispiel die Neunzigjährige, die Opfer einer Betrügerin wird. Die, nachdem sie dieser ihre gesamten Ersparnisse gegeben hat, anfängt, putzen zu gehen.
Warum? Weil das öffentliche Gesundheitswesen nicht in der Lage ist, für die alte Dame zu sorgen.
"Sparen ist zur Mode und zum Modewort verkommen. Bankrottböen schubsen, schlagen und jagen auch das Gesundheitswesen vor sich her. ... In diesen Zeiten spukt Herbert Spencers Spruch vom Überleben der Stärksten von Mund zu Mund ("Survival of the Fittest"). ...
Und wenn sie nicht stirbt, dann schuftet sie heute und morgen, dann schuftet sie alle Tage für den einzigen Menschen, der ein warmes Wort für sie übrig hat." - Dieser einzige Mensch ist besagte Frau, die Oma Grünspan das letzte Hemd und noch die Haut auszieht.
In der ersten Geschichte, "Der Prügelmaschinist", erzählt ein Autor von seinem Besuch bei seinem Lektor.
Sie entwickelt sich zu einem wüsten Traum, durchsetzt mit Kalauern und Kalkül, zwischen Wortwitz und Vorwitz.
Eher ein Alptraum als ein Traum - nebst dem Lektor treten auch "der Grußfürst und der Kornprinz" auf.
Die Geschichte könnte ein Abgesang auf Autoritäten sein, vielleicht wollte der Autor auch einfach mal Frust ablassen oder Tacheles reden?
Traurig und leider immer aktuell ist die "Hohnsaga", die Geschichte eines reichen Sohnes, Partyprinzen, Betrügers und so sehr Gelangweilten, dass er in den Krieg zieht.
Nach Tätigkeiten in Jugoslawien, Ruanda, Irland und weiteren Krisenherden lässt er sich im Altersheim für Kriegsverbrecher nieder.
Dort passiert Unvorhergesehenes: "Ich erwürgte den Stell-vertreter in seiner Nachttruhe. Mein erster moralischer Mord! Ich musste verrückt geworden sein ... oder Terrorist.
Dieser Tod gab mir zu denken."
So der Mann, der "Kinder zu staatlich anerkannten Mordhandwerkern" ausgebildet hatte.
Sie sind ein Spiel mit der Sprache, diese Geschichten. Unterlegt mit großer Aufmerksamkeit, für das, was in der Welt vor sich geht.
Indem Rüdiger Saß das Negative, Schlimme, Schreckliche erzählt, erzählt er, wie es sein könnte.
Die Geschichten sind wie Negativbilder einer Welt, die es geben könnte. Die er nicht erzählen will, weil Utopien nicht seine Sache sind?
Er nimmt die LeserInnen nicht an der Hand und führt sie durch eine Geschichten-Landschaft. Er setzt sie eher vor ein Bild und sagt: schau hindurch, schau selbst!
Rüdiger Saß: Sein letztes Lächeln, Geschichten
Container press, 2020, 140 Seiten