Paolo Rumiz - Der Leuchtturm

Der 1947 in Triest geborene Reiseschriftsteller, Kriegsreporter und Romancier ist ein unruhiger, stets auf Wanderschaft befindlicher Geist.

Seine eigenwilligen Bücher über Reisen in die entlegendsten Gegenden Europas und die Welt zeugen davon. 

In seinem neuen Buch begibt er sich auf eine gottverlassene Insel im Mittelmeer.

 

"Man hat zu mir gesagt: Dun wirst dich langweilen, und ich stelle fest, dass ich keinen Augenblick Ruhe habe. -Worüber willst du an einem Ort schreiben, wo nichts passiert?- Ebenfalls ein Einwand bei meiner Abreise. Jetzt stelle ich fest, dass meine Notizbücher wahrscheinlich nicht reichen werden. Und ich schreibe nicht nur übers Wetter."

 

Für drei Wochen hat sich Rumiz auf eine winzig kleine Insel in der Mitte des Mittelmeeres begeben. Dort steht ein Leuchtturm, dessen Licht wie das eine Auge eines Zyklopen wirkt und den Seefahrern seit Jahrhunderten den Weg weist.

Dort leben zwei Wärter, die alle Hände voll zu tun haben. Während seines Aufenthaltes findet eine Wachablösung

(die einen kompletten Umzug darstellt) statt.

Die zweite Hälfte seiner Zeit verbringt er zusammen mit einer dreiköpfigen Familie auf dem kargen Felsen. 

Es erscheint ihm wie ein Wunder, dass die Frau des Wärters, die er als die Königin der Insel bezeichnet, dem Garten allerlei Früchte entlocken kann.

 

Es ist Karsamstag als er ankommt. April also - nur an manchen Tagen kann man an der Insel überhaupt anlegen.

An sehr vielen Tagen herrscht Sturm, wobei dieses Wort zeigt, dass ein Landbewohner es ausspricht.

Rumiz lehrt, dass es sehr viele Winde gibt, jeder mit eigenem Namen und einer völlig unterschiedlichen Wirkung auf den Menschen. Tramontana oder Bora, ein himmelweiter Unterschied.

 

Dies ist es, was ihn fasziniert und beschäftigt: die Begegnung mit der Natur. Diese ist hier so mächtig, dass der Mensch sehr schnell begreift, welch ein Nichts er angesichts dieser Kräfte ist.

Der Wind diktiert die Ausfahrt des Fischerbootes, der lenkt den Flug der Möwen, er bestimmt, wann die Insel im Meer zu versinken droht, er schleicht sich in die Träume der Menschen und lässt sie an die antiken Götter denken, die günstig zu stimmen sind.

 

"Im Sturm funktioniert die Vorstellung eines einzigen, gütigen und von der Vorsehung bestimmten Gottes nicht. 

An diesem Morgen, nachdem die Morgenröte schöne Locken und rosige Finger mit sich gebracht hatte, traten hintereinander die Herren des Lichts und der Finsternis auf. Poseidon rührte mit seinem Löffel das offene Meer um und schoss Kanonen auf die Klippen ab. Der mit Blitzen bewaffnete Zeus schickte ein Heer von Wolken, das einer unbesiegbaren Armada glich. Äolus-der-nie-schläft zerrte an Fenstern und Türen und füllte den Turm mit Ächzen.

Die schwarz gekleidete Persephone, die Göttin der Unterwelt, zeigte sich in den frischen Rissen der Brandungspfeiler und in den eben aufgetauchten teerfarbenen plutonischen Felsen. Nur sie hätte meine Bastion aus den Angeln heben können."

 

Aber nicht die Naturgewalten alleine sind Thema seiner Überlegungen. Das Mittelmeer als uralter Kulturraum,

als Brücke zwischen Nord und Süd, Ost und West,

als Verbindendes, und nicht wie seit neuestem als Trennendes, ist Gegenstand der Betrachtungen des Schriftstellers.

Nicht umsonst spricht man von der mediterranen Kultur,

die weit über die Kulturen der Nationalstaaten hinausgeht.

 

"Ich denke: Was ist von dem Meer in der Mitte geblieben?

Fast nichts. Allein die Tatsache, dass man von zwei gegenüberliegenden Küsten spricht, bedeutet, dass die Schlacht verloren ist. Warum zwei Küsten? Warum haben wir diese bipolare Vereinfachung akzeptiert?"

 

Der Mensch hat nicht nur die Fischbestände durch Überfischung dramatisch reduziert und Teile der Natur unwiederbringlich zerstört, er hat auch eine Grenze gezogen durch ein Gebiet, das von Austausch lebte.

Eine eigene Sprache hatte sich unter den Seefahrern und Küstenbewohnern entwickelt, eine Lingua franca.

Auch sie wurde eingeebnet.

 

Rumiz mäandert in seinen Notizen - das Buch ist in einunddreißig kurze Abschnitte eingeteilt - durch all das, was ihm in seinem dreiwöchigen Aufenthalt durch den Kopf geht. Natur, Kultur, Geschichte und Politik, Religionen und Visionen, ganz konkret das Essen, das auf seinem Teller liegt, die Besonderheiten der Leuchtturmwärter, die Traditionen der Menschen, die im Wind leben, die Tiere, die sehr anpassungsfähig sein müssen und seine eigene Seele, die in diesen drei Wochen eine Verwandlung erfährt, sind die Themen, über die er schreibend nachdenkt.

 

Ihm ist ein tiefgründiges Buch gelungen, eines das den Geist und die Sinne anspricht, denn er beschreibt sehr anschaulich. Er hält seine Kritik an den modernen, geldgierigen Zeiten nicht zurück und bezieht ganz klar Stellung.

 

"Wir sind zwar voll Ängsten, aber wir fürchten uns vor bedeutungslosen Dingen, und leere Ängste heißen Paranoia. Die wahre, die höchste Furcht fehlt uns. Die Angst vor uns selbst, die wir unfähig sind, den Schrei der nach Luft schnappenden Natur zu hören und zu sagen: Es reicht."

 

Rumiz´ Buch ist ein aufrüttelndes Plädoyer, und weit mehr als das. Es ist eine bewegungslose Reise, eine Begegnung mit dem eigenen Ich, ein Erkennen dessen, was wichtig ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paolo Rumiz: Der Leuchtturm

Übersetzt von Karin Fleischanderl

Transfer Bibliothek im Folio Verlag, 2017, 159 Seiten

(Originalausgabe 2015)