Alois Prinz - Sie ist ein lebendiges Feuer

Das Leben der Milena Jesenská

"Das, was nottut, spricht jeder von uns laut und deutlich aus: Liebt die zähe Ausdauer; schätzt Tapferkeit und Mut; fürchtet euch vor nichts, wenn es nötig sein wird, denn dazu besteht kein Grund; und sagt die Wahrheit...".

Diese Zeilen der tschechischen  Journalistin könnten ein Aufruf zu deutschen Tugenden sein - sie sind jedoch eine Beschwörung ihrer Landsleute in den Tagen der deutschen Besatzung. Klug formuliert, um nicht sofort zensiert, aber eindeutig genug, um verstanden zu werden.

 

Milena Jesenská kam 1896 in Prag zur Welt. Sie wuchs zwischen zwei extremen Polen auf: der Vater, aus einfachen Verhältnissen stammend, brachte es zum berühmten Arzt und war ein glühender Patriot, Tendenz Nationalist.

Er verkraftete es nur schlecht, dass er seine Karriere auch der Mitgift seiner Frau zu verdanken hatte, betete er doch den eisernen Willen, Disziplin und Stärke an.

Die Mutter kränkelte und verbrachte viel Zeit in ihrem Schlafzimmer. Sie las Milena Märchen und Geschichten vor und weckte so deren Liebe zur Sprache, zum geschriebenen Wort. In den ersten Jahren auf dem fortschrittlichen Minerva Gymnasium, das Milena besuchte, wurde sie zum Pflegefall, Anfang 1913 starb sie.

 

Dieser Verlust befreite Milena von der auferlegten Pflege und nahm ihr die Vertraute - zum Vater ging sie nun vollends auf Distanz. Genauer gesagt: sie probierte aus, was das Leben zu bieten hat, und das war etwas anderes, als die vom Vater für sie vorgesehene Laufbahn als Ärztin.

 

Zwar begann sie ein Medizinstudium, doch die Kaffeehäuser der Stadt verlockten sie mehr. Dort herrschte eine geistige Treibhausatmosphäre, es verkehrten belesene und beredte Männer, die Ideen sprudelten, der Geist brodelte.

Milena verliebte sich in den tonangebenden Ernst Polak, König der Prager Literaturszene.

 

Es war die Zeit, in der bereits die ersten Verwundeten aus dem Krieg zurückkehrten, Not zu herrschen begann  und Milena klar wurde, dass sie in einem Elfenbeinturm gelebt hatte. Zwar rebellisch gegen den Vater, aber ohne soziales Gewissen, das nun erwacht. Diese neue Haltung, der Abbruch des Studium und die Liebesgeschichte mit Polak führte zur Einweisung Milenas in eine psychiatrische Anstalt durch den Vater: er wollte sie zur Vernunft bringen. Vor allem Polak,

ein Jude, war für Jan Jesenský dann doch zu viel gewesen.

 

Von Juni 1917 bis März 1918 war sie in der Klinik, nach der Entlassung heiraten Polak und Milena und gingen nach Wien.

 

Dort war die Not noch viel schlimmer als in Prag.

Und Milena war ein Niemand. Sie kannte niemanden, sie sprach kaum Deutsch. Polak, normalerweise die Freigiebig-keit in Person, war der Meinung, Ehefrauen sollten sich selbst versorgen. Er unterstützte Milena weder finanziell noch durch seine Verbindungen in die Literaturszene.

 

Sie nahm jede mögliche Arbeit an, u.a. Koffer schleppen auf dem Bahnhof, sie lernte die Not nun ganz persönlich und direkt kennen. In dieser Zeit entwickelte sich die Journalistin Milena Jesenská. Sie schrieb ihre Beobachtungen auf und schickte sie an eine Schulfreundin, die bei einer Prager Zeitschrift arbeitete.

 

Und sie fing an zu übersetzen. Am Ende des Jahres 1919 konnte sie von sich sagen, dass sie nun einen Beruf hatte: 

"Sie schreibt Artikel und übersetzt Bücher ins Tschechische."

 

Unter anderem versuchte sie sich an einer Übersetzung der Erzählung "Der Heizer" von Franz Kafka. 

Im Zusammenhang mit diesem großen Namen wurde Milena lange Zeit wahrgenommen, und zwar ausschließlich. Sie gilt als die Frau, mit der Kafka ganz ganz kurze Zeit glücklich war, bevor er sich wieder zurückzog, dass sie darüber hinaus sehr viel mehr war, rückte erst später in den Mittelpunkt des Interesses.

 

So ist auch der Titel dieses Buches ein Zitat aus einem Brief Kafkas. Es lässt sich nicht nur auf die Liebe, sondern auf

alles übertragen, was Milena in die Hand nahm.

Bei ihr gab es keine Halbheiten. 

Nach der Trennung von Polak 1924 ging sie zurück nach Prag.

Sie musste Geld verdienen und schrieb zunächst für eine konservative Zeitung. Ihre Wohnung wurde zum Treffpunkt für Künstler und Schriftsteller, sie entwickelte sich politisch immer weiter nach links. 

"`Links´ war gleichbedeutend mit Fortschritt, Zukunft, Befreiung von alten Mustern und Zwängen, der Suche nach einer besseren Welt." Sie wechselte zur Zeitung Bunte Welt, lernte den Architekten Jaromír Krejcar kennen, im April 1925 heiraten die beiden, gute drei Jahre später kam die Tochter Jana zur Welt.

 

Nicht das Kind veränderte ihr Leben für lange Zeit, sondern eine Krankheit, die sie morphiumsüchtig machte, ein steifes Bein zurückließ, zur Entfremdung von Jaromír führte und sie durch die Aufenthalte in Krankenhäusern auch beruflich aus der Bahn warf.

Doch sie kämpfte sich zurück, schrieb nun für eine liberale Zeitung über Familien- und Frauenthemen, doch die Krise von 1929 ließ sie endgültig politisch aktiv werden.

Als Jaromir Prag 1934 verließ und in die Sowjetunion ging, blieb sie mit Jana in der Stadt. Mit Wort und Tat kämpfte sie gegen den aufkommenden Faschismus in Tschechien.

 

 

Es folgten die Scheidung, eine Entziehungskur, die Auf-nahme der Arbeit bei der Zeitschrift Pritomnost, Stimme

des Widerstandes gegen die Nazis.

Ab 1938 füllte sich Prag mit Flüchtlingen, Milenas Wohnung wurde ein Unterschlupf. Sie ging große Risiken ein, und eines kam für sie nie in Frage: die Flucht ins Ausland. Trotz Schreibverbot 1939 und Beobachtung durch die Gestapo schrieb sie für eine Untergrundzeitung und beteiligte sich auch an deren Verteilung. 

 

Im November 1939 wurde Milena verhaftet. Der Prozess fand ein halbes Jahr später in Dresden statt. Milena wurde frei gesprochen, jedoch zurück nach Prag gebracht und unter `Schutzhaft´ gestellt. Im Oktober 1940 wurde sie nach Ravensbrück transportiert. Dort starb sie am 17. Mai 1944.

Durch das Fälschen von Krankenakten hatte sie noch einigen Menschen das Leben retten können.

 

 

Alois Prinz gelingt es in seiner Biographie sehr gut, Milenas grundlegende Haltung zum Leben und zu den Menschen darzustellen. Sie tritt ganz klar aus den Schatten der berühmten Männer um sie herum heraus - Prinz macht die Entwicklung deutlich, die Milena vom rebellischen Teenager zur Widerstandskämpferin durchlief.

Er belässt ihr dabei ihre Schwächen, stülpt ihr keinen Heiligenschein über, und macht gerade damit ihre Stärke deutlich. Eine beeindruckende Frau, ein lesenswertes Buch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alois Prinz: "Sie ist ein lebendiges Feuer" -

Das Leben der Milena Jesenská

Beltz & Gelberg, 2016, 240 Seiten

Insel Verlag, 2018, 228 Seiten