Charlotte Perkins Gilman -
Diantha oder Der Wert der Hausarbeit
Die Heldin dieses Romans ist eine außergewöhnliche junge Frau.
In jeder Hinsicht: klug, gebildet, fleißig, effektiv, bestens organisiert, belastbar, stets freundlich und höflich, vorausschauend, wagemutig ohne übermütig zu sein, mit einer Mission erfüllt und zu guter letzt ist sie auch noch hübsch. Über alle diese Eigenschaften verfügt sie im Übermaß.
Die perfekte Ehefrau also. Sie würde auch gerne heiraten,
seit sechs Monaten sind Diantha und Roscoe Warden verlobt.
Aber es besteht wenig Aussicht auf eine rasche Hochzeit, denn Ross hat eine schwere Bürde geerbt: eine Mutter und vier Schwestern, die alle von ihm ernährt werden müssen.
So ist es Tradition im Westen der USA um 1900: zuerst muss die Herkunftsfamilie versorgt sein, bevor ein Mann eine eigene Familie gründen kann.
Der vom Vater geerbte Kolonialwarenladen wirft nicht genug ab, um zwei Familien zu ernähren.
Und die fünf Warden-Damen sind sehr anspruchsvoll.
So sehr, dass Diantha sie als faul und verschwenderisch empfindet. Alle Mädchen sind längst in einem alter, in dem sie arbeiten könnten, so wie sie selbst es tut.
Die Einundzwanzigjährige arbeitet schon seit längerem als Lehrerin. Als Kind schon versorgte sie die jüngeren Geschwister, half der Mutter im Haushalt und trug in jeder Hinsicht Verantwortung für die Familie.
Diantha ist nicht gewillt zu warten. Sie nimmt die Sache,
d.h. ihr Leben, selbst in die Hand.
Eine erste Schlüsselszene findet sich im zweiten Kapitel,
das die Überschrift "Eine widernatürliche Tochter" trägt.
Diantha sagt ihrer Mutter, Mrs. Bell, dass sie fortgehen wird um zu arbeiten. Die Mutter reagiert wie erwartet und appelliert sofort an Dianthas Gewissen: "Warum Diantha! Du würdest doch deine Mutter nicht alleine lassen!"
Die Schwester kommt hinzu, sie ist ebenfalls entsetzt.
Schließlich ringt sie mit dem Vater. Er wirft ihr Undankbarkeit vor, schließlich ist "ein Kind heutzutage eine teure Investition", die sich für die Eltern nur dann rechnet, wenn das Kind später für die Eltern sorgt.
Dass Diantha gehen möchte, ihre eigenen Pläne über das Wohlergehen der Familie stellt und sich nicht dem väterlichen Willen beugt, ist also widernatürlich.
Es wird ja gerne mit der Natur argumentiert, wenn es um die Rechte oder eher die Pflichten einer Frau geht. Diantha argumentiert aber ganz kühl ökonomisch. Sie rechnet aus, was sie die Eltern gekostet hat. Nahrung, Kleidung, Bildung, Arztkosten etc. Der Vater freut sich, dass Diantha ihm 3600 $ "schuldet" - damit ist sie ihm weiterhin verpflichtet.
Doch sie macht die Gegenrechnung auf:
Sie hat jahrelang im Haushalt gearbeitet (und damit ein Dienstmädchen ersetzt), dem Vater und auch dem Bruder immer wieder mit Geld ausgeholfen (Vater setzt mit seinen Unternehmungen eigentlich immer nur Geld in den Sand), sie bezahlt seit Jahren Kost und Logis - und kommt so auf eine Summe von 547 $ - die der Vater ihr schuldet.
"Hat man von so etwas schon gehört! Du berechnest Arbeit in kalten Dollar, die jedes normale Mädchen für ihre Familie tut, und das gerne! ... Du bist volljährig. Kinder haben heutzutage keinen Sinn für naturgegebene Verpflichtungen, wenn sie erwachsen sind. Du kannst selbstverständlich gehen und deine Familie blamieren. Aber du brauchst nicht zu erwarten, dass ich zustimme oder es gutheiße - oder mit dir einverstanden bin. Es ist eine Schande und du bist eine widernatürliche Tochter. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe!"
Ihr Verlobter Ross reagiert nicht ganz so unwirsch, aber von Verständnis für ihre Idee ist er ebenfalls Lichtjahre entfernt.
Sie möchte Geld verdienen, um schneller heiraten zu können: das lässt der Stolz eines Mannes nicht zu.
Auch er bemüht die Natur, doch immerhin entzieht er ihr nicht seine Liebe, als sie geht.
Diantha verdingt sich als Hausmädchen bei der Familie Porne in Orchandina. Dort kann sie beweisen, wie gut sie ist und nebenbei die Dame des Hauses, eine studierte Architektin, die wegen Haushalt und Baby nicht mehr zum arbeiten kommt und sehr darunter leidet, von der ungeheuren und ungeliebten Bürde der Hausarbeit befreien.
Dieses Haus ist quasi das Trainingslager für Diantha.
Mit Hilfe von Mrs. Porne und Mrs. Weatherstone, einer vermögenden jungen Witwe, sowie der Fürsprache von
Mr. Thaddler, die alle an Dianthas Ideen glauben, entwickelt sich die junge Frau zur Vorzeigeunternehmerin.
Ihre Mission: die Frauen der Mittelschicht von der Hausarbeit befreien, aus Dienstmädchen selbstbewusst auftretende Angestellte mit Kompetenzen und Rechten machen, und dabei den Arbeitgebern auch noch Geld zu sparen.
Das alles gelingt ihr, indem sie einen Service von Hausmädchen aufbaut, die stundenweise gemietet werden können. Außerdem einen Cateringservice, der die Küche und die Köchin, die sich überflüssigerweise in jedem Haus befinden, einspart. Keine Gerüche, ein weiterer Raum mehr (es wurde ja schon das Dienstmädchenzimmer eingespart), hochwertiges Essen, da eine professionelle Köchin dieses zubereitet und nicht ein angelerntes junges Mädchen.
Später wird Diantha ein Hotel führen, die Angestellten in einem eigenen Haus wohnen und von dort ausschwärmen lassen. Sie wird technische Neuerungen einsetzen, sie wird Geld verdienen und Anerkennung von allen Seiten ernten.
"Du kennst mein Ziel: die Hausarbeit auf eine geschäftliche Grundlage zu stellen. Das ist alles. Und zu beweisen, beweisen, BEWEISEN, was für ein gutes Geschäft sie ist."
Das ist ihr gelungen. Alles funktioniert mehr oder weniger reibungslos.
Nur die Gefühle nicht. Als Ross seinen Laden doch verkaufen und einen Bauernhof erwerben konnte, der allen seinen Lieben den Lebensunterhalt sichert, fordert er Diantha auf, ihren "scheußlichen Betrieb" aufzugeben. Er kann sie jetzt ernähren. Und fühlt sich wieder angegriffen und zurückgewiesen, als sie ihm sagt, sie werde weiterarbeiten.
"Es geht nicht ums Geld, es ist die Arbeit, die ich tun will - es ist meine Arbeit! Du bist so glücklich, jetzt deine Arbeit tun zu können - endlich! Das ist meine! ... Liebst du deine Arbeit mehr als mich? Natürlich nicht! Du liebst beides. Und ich auch. Begreifst du das nicht? Warum soll ich etwas aufgeben müssen?"
Die einzige Antwort auf diese Frage wäre: weil du eine Frau bist.
Gilmans Roman ist eine Utopie. Die Auslagerung der Hausarbeit als Befreiung der Frau. Der bürgerlichen Frau,
die nun ihren beruflichen oder kulturellen Bedürfnissen nachgehen kann. Der professionell im Haushalt tätigen Frauen, die nun nicht mehr in unsicheren Dienstmädchen-verhältnissen arbeiten müssen und mehr verdienen.
In ihrem Roman gibt es keine Konkurrenzunternehmen,
kein Preisdumping, keine rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit wie man sie vom modernen Pizzaboten kennt.
Die stark in der Frauenbewegung aktive Perkins Gilman (1860-1935), die neben fiktionalen Texten auch wichtige, grundlegende, theoretische Texte verfasst hat, kleidet ihre Ideen in der Person Diantha in einen Roman, der deutlich ihre Anliegen transportiert, die junge Heldin aber trotzdem zu einer eigenständigen Figur ausbaut.
Diantha entwickelt sich mit ihrem Tun, der Leser bekommt Einblicke in ihr Innenleben (sie hat auch Zweifel und schwache Momente, sie ist kein ewig rundlaufender Motor), die Damen der Warden-Familie sind konturiert gezeichnet, auch Ross, der als Repräsentant für das konservativ-männliche steht, ist eine lebendige Figur.
Eine lernfähige, wenn auch langsam und mühsam.
Auch in diesem Roman beschäftigt sich Perkins Gilman mit der Frage, wie Frauenleben aussehen könnten, wenn sie nicht mehr der Macht von Männern ausgesetzt wären.
Sie stellt ihre Ideen auf eine wirtschaftliche Basis, die neue Ökonomie entwickelt sich innerhalb des bestehenden, kapitalistischen Systems. Das kann aus heutiger Sicht angezweifelt werden, je nach eigenem politischen Denken, doch in der Heldin Diantha hat sie vorgeführt, wie in ihren Augen Weltverbesserung aussehen kann.
Dass ganz am Ende das Glück Einzug hält und damit ein wenig Zuckerguss auf die Herzen der Leser gegossen wird, nimmt man dann als schönes Happy End einfach hin.
Romanciers dürfen das....
Charlotte Perkins Gilman:
Diantha oder der Wert der Hausarbeit
Übersetzt von Margot Fischer
Mandelbaum Verlag, 2017, 224 Seiten, deutsche Erstausgabe
(Originalausgabe erschien 1909/10 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift der Autorin "The Forerunner")