Cesare Pavese - Das Haus auf dem Hügel

"Schon zu anderen Zeiten redete man vom Hügel, so wie man vom Meer oder vom Wald geredet hätte. Aus der Stadt, die sich verdunkelte, kehrte ich abends dorthin zurück, und für mich war es kein beliebiger Ort, es war eine Auffassung der Dinge, eine Lebensart."

Mit diesen Worten beginnt Paveses in den Jahren 1943/44 spielender Roman. Schauplatz ist Turin und die die Stadt umgebenden Hügel - sie sind mehr als eine Landschaft, wie das Zitat zeigt.

 

Sie sind eine Gewähr, dass die Welt trotz des Krieges noch besteht, auch wenn die alte Welt dabei ist, zugrunde zu gehen. 

"In der Kühle des Hügels, in jener Leere, jener Angst, die einen in Atem hielt, fand ich eine uralte, bäuerliche, ferne Erfahrung wieder."

 

Maja Pflug hat diesen wichtigen Roman neu übersetzt und ihn mit ihrer eleganten, entstaubten und schnörkellosen Übersetzung ins Heute geholt. Damit wird sie dem Erneuerer der Italienischen Literatur gerecht - der Amerikanist, Übersetzer und Lektor bemühte sich sehr darum, die modere Literatur in Italien zu etablieren.

 

Pavese, 1908 - 1950, stammt aus Santo Stefano Belbo in den Langhe, einer ländlichen Region zwischen Poebene und Turin. Zur Schule ging er in Turin, dort studierte er auch Literaturgeschichte.

Er übersetzte amerikanische Literatur und schrieb für die Zeitschrift La Cultura, später arbeitete er für den Turiner Einaudi Verlag.

 

In vielen Punkten kreuzt sich die Lebensgeschichte Paveses mit der seines Helden Corrado in dem persönlichsten seiner  Romane.

 

Corrado kommt aus einem Dorf, er hat den Sprung in die Stadt und an die Universität geschafft. Kurz träumt er von einer Karriere an der Universität, doch nach einer gescheiter-ten Beziehung bewirbt er sich um eine Lehrerstelle.

Diese tritt er vor Beginn des Krieges an einem Turiner Gymnasium an.

 

Er lebt nicht in der Stadt, sondern bei zwei Damen in einem abgelegenen Haus in den Hügeln. Er streift viel in den Wäldern umher, zusammen mit Belbo, dem Hund, der den Namen des Herkunftsdorfes Paveses trägt.

Auf einem einsam gelegenen Hof begegnet er im Jahr 1943 Cate, einer Liebe aus vergangenen Tagen, wieder.

Angelockt durch Gesang betritt er die ehemalige Gastwirt-schaft Le Fontane. Dort treffen sich Leute, die vor den Bombenangriffen auf Turin fliehen, die Nächte hier draußen verbringen und, wie sich später zeigt, dort auch Waffen lagern. Le Fontane ist ein Ort, an dem sich Partisanen organisieren.

 

Dort also begegnet der vierzigjährige Corrado Cate wieder.

Sie hat einen achtjährigen Sohn, den alle Dino nennen, ist jedoch nicht verheiratet.

 

Diese Begegnung beschäftigt Corrado sehr:

"Es kam mir vor, als hätte ich ein vergessenes Zimmer, einen alten Schrank geöffnet und das Leben eines anderen darin gefunden, ein unbedeutendes Leben voller Gefahren. Das war es, was ich vergessen hatte. Nicht so sehr Cate, nicht die armseligen Genüsse von damals. Sondern den jungen Mann, der jene Tage erlebt hatte, den verwegenen, jungen Mann, der den Dingen auswich, weil er glaubte, sie müssten erst noch geschehen, der schon ein Mann war und sich dauernd umschaute, ob das Leben nun wirklich käme, dieser junge Mann verblüffte mich. Was hatten er und ich gemeinsam? ... alles wirkte wie die Erinnerung an ein fernes Land, an ein unruhiges Leben, sodass man sich beim Zurückdenken fragt, wie man es damals genießen und so verraten konnte."

 

Dass der Junge ebenfalls Corrado heißt, erfährt der Ich-Erzähler eher zufällig. Vom Alter her könnte er der Sohn Corrados sein, doch Cate verneint.

 

Die Frage, ob Dino sein Sohn ist, verbindet die Gegenwart mit der Vergangenheit. Erinnerungen an die Zeit mit Cate werden genauso wach, wie die an die eigene Jugend, an jenen jungen Mann, der im erwachsenen Corrado schlummert, oder eingesperrt ist.

 

Diese persönliche Geschichte verwebt Pavese mit dem Zeit-geschehen. Dino träumt davon, Soldat zu werden - auch aus Opposition zu seiner Mutter, die sagt, alles Schlechte käme von den Faschisten und die zum Kreis Le Fontanes gehört.

 

Der gewollt einsam lebende Corradt muss sich mehr als einmal die Frage stellen lassen, was er eigentlich tut.

Ob und wie er sich gegen die Faschisten engagiert - diese Frage gehört auch zum Leben Paveses, der sich nicht in den Kampf begab, nicht in der Partisanenbewegung aktiv war.

 

Zwar verbrachte Pavese im Jahr 1935 sieben Monate in der Verbannung in Kalabrien, weil in seiner Wohnung Briefe eines Antifaschisten gefunden worden waren und weil er andere kulturelle und ästhetische Maßstäbe hatte als die von der Regierung verordneten, aber er war nicht Teil einer Widerstandsgruppe.

 

Corrado spricht an mehreren Stellen davon, dass er sich schämt. Weil er nirgends dazu gehört, weil er sich nicht engagiert, weil er seine Einsamkeit liebt.

 

Neben der Scham ist die Angst ein Thema des Romans.

Als in Le Fontane die Waffen entdeckt werden, wird die ganze Gruppe gesprengt: einigen gelingt die Flucht, einige werden verhaftet und deportiert. Corrado versteckt sich einige Monate in einem Kloster, wo er unterrichtet.

Als es auch dort zu gefährlich wird, macht er sich im Sommer 1944 auf den Weg in sein Heimatdorf zu seiner Familie.

Auf diesem langen, gefährlichen und beschwerlichen Weg begegnet er dem Krieg, der dabei ist, zum Bürgerkrieg zu werden. 

 

Nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 und dem Waffen-stillstandsabkommen Italiens mit den Alliierten am

8. September desselben Jahres, lösen sich die Fronten auf.

 

Corrado erlebt einen Überfall von Partisanen auf Soldaten, mitten in den Hügeln, ganz in der Nähe Belbos, seinem Ziel.

Es schafft es, dort anzukommen, findet "hier zu Hause eine alte Wirklichkeit wieder, ein Leben von vorher, vor Elvira, vor Cate, vor Dino, und vor der Schule, vor all dem, was ich als Mann gewollt und gehofft hatte ..."

 

Sechs Monate später wartet er immer noch auf den Frieden, "abgesehen von den Unannehmlichkeiten und der Scham geschieht nichts."

 

Der Krieg hat alle eingeholt, er ist bis in den hintersten Hügel des Landes gekrochen. Letzten Endes ist es ein Zufall, wer überlebt, wer nicht. Die Überlebenden werden den Krieg niemals loswerden, er ist Teil ihres Lebens geworden.

 

Corrado vermag nicht im Freund-Feind-Denken verharren. Für ihn ist "der Feind auch besiegt ein Mensch" - ein großer Gedanke, der im Jahr 1948, als der Roman entstand, ein fast zu großer war. 

 

1944, als der Roman endet, resümiert Corrado:

"Ich glaube nicht, dass es enden kann. Jetzt, da ich gesehen habe, was Krieg ist, was Bürgerkrieg ist, weiß ich, dass sich, wenn er eines Tages vorbei wäre, alle fragen müssten:

Und was machen wir mit den Gefallenen? Warum sind sie gestorben? Ich wüsste nicht, was ich antworten sollte. Jedenfalls nicht jetzt. Noch scheint mir, dass die anderen es wüssten. Vielleicht wissen es einzig die Toten, und nur für sie ist der Krieg wirklich aus. "

 

Corrados Leben wurde vom Krieg übernommen.

Nicht nur sein Leben, das aller. Ein jeder wurde mit der Frage: Was tun? konfrontiert. Es gibt keinen Handlungs-Automatismus, es stellt sich jedem Einzelnen diese Frage.

 

Corrado hat sich gegen das Kämpfen entschieden.

Pavese hat sich für das Schreiben entschieden.

Die historischen Ereignisse, die "Das Haus auf dem Hügel" beschreibt, lassen sich alle datieren, insofern ist der Roman ein zeitgeschichtliches Dokument.

Doch die Einbettung der Geschichte in das Land, das Träger einer uralten Kultur ist, gibt ihm eine sagenhafte Tiefe.

Pavese, der sich für Anthropologie und Mythenforschung interessierte, verortet in den Hügeln die ewige Zeit, die der vergehenden gegenübersteht.

 

Cesares Paveses Auseinandersetzung mit Krieg und Bürger-krieg, mit Angst und Scham, mit der Einsamkeit, aber auch diversen Ausprägungen von sozialen Banden, mit Liebe

und Religion ist ein großartiger, zeitloser Roman über Verantwortung und Menschsein.

In die Ich-Erzählung sind so viele prägnante Charaktere eingearbeitet, über die ungewöhnliche Cate, die sich so anders entwickelt hat, über den heißblütigen jungen Fonso, bis hin zu Dino, der unwahrscheinlich selbständig ist.

Auch die beiden Damen, vor allem Elvira, die Corrado umgarnt, gewinnen Kontur - der Roman ist sehr vielfältig,

er lebt von seinen Personen, wie von seiner Handlung und seinem geistigen Hintergrund. 

Sprachlich ist er ebenso ausgezeichnet, die Passagen variieren im Tonfall, entsprechend der Situation oder des Gedankengangs - das ist Literatur auf allerhöchstem Niveau.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Cesare Pavese: Das Haus auf dem Hügel

Übersetzt von Maja Pflug, mit einem Nachwort von

Lothar Müller

Edition Blau im Rotpunktverlag, 2018, 216 Seiten

(Originalausgabe 1948)