Ursula Muscheler - Mutter, Muse und Frau Bauhaus
Die Frauen um Walter Gropius
Manon Gropius, die Mutter des Meisters, seine erste Ehefrau Alma Mahler, Lily Hildebrandt, Maria Benemann, sowie die zweite Ehefrau Ilse Gropius, genannt Ise, sind die Frauen, die Walter Gropius durchs Leben begleiteten und die im Mittelpunkt dieses Buches stehen. Ihnen ist eines gemein:
sie waren das, was die Frauen-rechtlerin Hedwig Dohm "Übergangsgeschöpfe" nannte.
Sie alle suchten neue Wege, machten sich auf, alte Rollen- bilder hinter sich zu lassen, fügten sich jedoch nach Widerständen oder Rückschlägen wieder in diese ein.
Sie waren nicht in ausreichendem Maß gewappnet für den Kampf, nicht durch Vorbilder vorbereitet. Doch vielleicht macht sie genau das zu Vorreitern: immerhin waren sie mutig genug, es zu probieren und den Weg ein kleines Stück weit zu ebnen.
"Auch wenn sie die neuen Ufer nicht erreichten, kamen sie doch weiter als viele andere vor und nach ihnen - und dies in einer Zeit, die sie in zwei Kriege, zwei Inflationen, zwei Währungsreformen alles verlieren ließ, mit dem sie aufgewachsen waren, Wohlstand und großbürgerliche Privilegien, ohne für ein anderes Leben gerüstet zu sein."
So das Resümee Ursula Muschelers, die Briefe, Tagebücher und Presseberichte sichtete, um einen Blick "hinter die Kulissen" zu werfen. Dabei entsteht ein anderes Bild als das von Gropius gezeichnete.
Stets an seiner Seite war die Mutter Manon. Sie betete den Sohn Walter nicht ganz so bedingungslos an wie die Großmutter Luise den Enkel, Manon forderte Leistung von ihm - sie blieb jedoch bis zu ihrem Lebensende 1933 die wichtigste Vertraute und Ratgeberin für ihn. Sie half mit Geld aus, solange ihr dies möglich war, sie versuchte sich mit der exaltierten Schwiegertochter Alma zu arrangieren und unterstützte ihn im Kampf um die Tochter Manon, genannt Mutzi, als der Trennungskampf mit Alma auch auf dem Rücken Mutzis ausgetragen wurde.
Und sie ermutigte ihn auch in seinen Vorstellungen des "radikal Neuen", dem er sich mit seinen Ideen der Architektur und der Gründung des Bauhauses verschrieben hatte.
"Traf zu, was ihr Sohn im Rückblick von ihr behauptete,
dass sie ungewöhnlich befähigt war, sich schnell auf veränderte Verhältnisse umzustellen - eine Fähigkeit,
die er mit ihr teilte?"
Eine solche Unterstützung und Begleitung erfuhr Walter Gropius von seiner Ehefrau Alma nicht.
In erster Ehe mit Gustav Mahler vereiratet, wurde sie in ihren frühen Dreißigern Witwe. Schon zuvor waren Gropius und sie ein Paar, doch nicht lange war Alma Gropius treu.
Der Dichter Franz Werfel löste ihn nach einem Intermezzo mit Oskar Kokoschka ab - Almas zeitweilige Geliebte lesen sich wie eine Liste der Künstler der Moderne.
Sie legte großen Wert auf ihre gesellschaftliche Stellung,
den fulminanten Auftritt, den Applaus der richtigen Leute - schade, denn "wirklich hätte aus Alma einiges werden können." Sie war musikalisch begabt, hatte Lieder komponiert, "doch es fehlte ihr an unbedingter Hingabe, ohne die in der Kunst nichts zu erreichen ist."
Der Forderung des Komponisten Gutstav Mahler, sie solle nach der Eheschließung auf eigene Arbeiten verzichten,
kam sie ohne Widerspruch nach.
Ihr Feld war und blieb es, "in Gesellschaften zu gehen."
Ihre Kunst blieb, sich die Aufmerksamkeit, Liebe und Hingabe bedeutender Männer zu sichern.
1915 hatten Walter und Alma geheiratet, 1919 lernte er die Malerin Lily Hildebrandt kennen.
Sie war verheiratet und Mutter, für ihren Sohn hatte die das Kinderbuch "Klein-Rainers Weltreise" gestaltet, das bis heute als eines der frühesten modernen Kinderbüchern gilt.
Weil sie Geld verdienen musste, arbeitete sie als Redakteurin bei einer Stuttgarter Zeitung, und zusammen mit ihrem Mann schuf sie einen Salon, der zu einem Mittelpunkt des geistigen Lebens in Stuttgart wurde.
Doch die Rolle als Ehefrau, Mutter und Dame der Gesell-schaft ließ sich nicht mit einem Leben als Künstlerin vereinbaren. Sie beschränkte sich auf kleine Hinterglas-bilder. Sie hatte erkannt und schien sich daran zu halten:
"Denn bei all (ihren) Fähigkeiten darf sie nicht vergessen, dass sie dem Manne gegenüber Weib bleiben soll im wahrsten Sinne des Wortes, von ihrem Instinkt geleitet wie von der Kompassnadel, die ihr den Weg vorschreibt."
Lily und Walter tauschten verliebte Briefe, eines machte er von vorn herein klar: sie solle seine "empfangsbereite Geliebte", er sei ein "Wanderstern", der sich nicht dauerhaft niederlasse. Sie solle ihm helfen, Geldgeber für seine Ideen zu finden und ihm helfen, seine Sorgen zu vertreiben.
Über Jahre hinweg leistete sie ihm treue Dienste. Brachte ihn mit wichtigen Leuten in Kontakt, öffnete Geldbörsen, verkaufte Kunstwerke für ihn. Stärkte ihm den Rücken - diese Eigenschaft hielt der Sohn Rainer für die beeindruckendste seiner Mutter.
Schon im März 1920 lernte Gropius Maria Benemann kennen, eine Dichterin, die zu großen Hoffnungen Anlass gegeben hatte.
Vor dem Krieg hatte sie die Aufmerksamkeit Heinrich Vogelers erweckt und war in Kontakt mit dem Worpsweder Künstlerkeis gekommen. Auch Franz Werfel schätzte sie.
Sie hatte jung geheiratet, ihr Mann starb kurz nach Kriegs-beginn und ließ eine Frau mit zwei kleinen Kindern zurück, die plötzlich selbst für ihr Auskommen sorgen musste, die kleine Rente reichte nicht zum Leben.
Sie versuchte es mit Schreiben, nahm diverse Arbeiten an und kam schließlich nach Weimar.
Sie hätte Unterstützung von Walter Gropius gebraucht, doch der war zwar in sie verliebt, aber sie besaß nicht, was er von "einer Geliebten erwartete: Energie, Einfluss und den unbe-dingten Wusch, ihn in seiner Arbeit und seiner Entwicklung zu unterstützen."
Wie auch Lily gegenüber macht er klar, seine Maxime lautet: "Nichts fordern, nichts erwarten, nur schenken!"
So die Frauen ihm gegenüber.
Hätte er den Geliebten ein wenig Hilfe zukommen lassen,
sei es Geld oder auch Anerkennung, vielleicht hätte aus dem Aufbruch zu neuen Ufern etwas werden können.
Er empfahl jedoch beiden die Besinnung auf die eigene Stärke, ohne freilich deren Hilfe für ihn auch nur zu sehen.
1920 kam es endlich zur Scheidung von Alma.
Drei Jahre später verliebte sich Gropius auf den ersten Blick in Ilse Frank. Er bestürmte die verlobte, vierzehn Jahre jüngere Frau, gewann den Kampf gegen den Rivalen, Ilse entschied sich für den Direktor des Bauhauses in Weimar.
Im Herbst 1923 heirateten sie und Ilse trat damit quasi eine Arbeitsstelle an. "Sie war Geliebte, Ehefrau, Gastgeberin, Lektorin, Organisatorin und Sekretärin in einer Person."
Vom ersten Tag an setzte sie sich für das Bauhaus ein und arbeitete unermüdlich für dessen Belange - und damit auch für ihren Ehemann. So erwarb sie sich im Lauf der Zeit den Namen "Frau Bauhaus" . Fast war das Gropius schon unheimlich: sie sollte ihn einholen, aber nicht überholen.
Als das Bauhaus nach Dessau umzog, eröffnete sich ein neues Feld für Ise, so ihr modernisierter Name: sie interessierte sich sehr für die Meisterhäuser, die dort gebaut wurden und entwickelte sich zur Haushaltsexpertin. Damit verbunden war die Konzeption moderner Küchen und ihrer Einrichtung mit Haushaltsgeräten.
Nach nicht endenden Querelen um das Bauhaus auch in Dessau, trat Gropius 1928 als Dirktor zurück. Nach einer Reise durch die USA ließ sich das Ehepaar in Berlin nieder.
Ise versuchte Reisereportagen zu veröffentlichen, dies gelang ihr jedoch nicht. "In Berlin fiel Ise nach dem Ende ihrer engagierten Tätigkeit für das Bauhaus vor allem als Frau an seiner Seite auf..."
So sollte es bleiben, auch später, als Walter und Ise Gropius 1937 in die USA emigriert waren.
Eine Freiheit, die sie sich Anfang der dreißiger Jahre geleistet hatte: sie nahm ihr in Bauhauskreisen propagiertes "Recht auf Selbstbestimmung und freier Liebe in Anspruch" und ließ sich auf ein Liebesabenteuer mit Herbert Bayer, einem jungen Designer, ein. Der Umzug nach London 1934 beendete diese Liebesbeziehung.
Im neuen Haus in Lincoln, Massachusets, wurde Ise voll und ganz von ihren Pflichten als Dame eines großen Hauses mit vielen Besuchern und eigenem Gemüsegarten in Anspruch genommen. Ab und zu hielt sie einen Vortrag an der Universität über das Bauhaus, um ein wenig Geld zu verdienen. Das war immer knapp, egal, wie viel Walter Gropius verdiente.
Auch nach dem Krieg konnten weder Lily als Malerin, noch Maria als Schriftstellerin Fuß fassen. Ise betreute bis zu ihrem Tod Werk und Nachlass ihres Mannes.
Der Idee der "Neuen Frau" entsprachen all diese Frauen nicht. Keine von ihnen kann als Feministin der ersten Stunde oder dergleichen bezeichnet werden. Als die oben beschriebenen "Übergangsgeschöpfe" sind sie jedoch hoch interessant.
Ihre Lebensläufe werfen nicht nur ein helles Licht auf die praktische Umsetzung neuer Ideen und hehrer Ideale, sie warnen zugleich vor einem Rückschritt.
Denn das Phänomen des Übergangs gibt es auch in Form eines zurück - in die alten Traditionen und Rollenmuster.
Ursula Muscheler: Mutter, Muse und Frau Bauhaus
Die Frauen um Walter Gropius
Berenberg Verlag, 2018, 160 Seiten