Mark Mulholland -
Eine wahnsinnige und wundervolle Welt
Das Cover des Buches zeigt sehr gut den Zwiespalt, in dem Irland steckt: eine wunderbare Natur, in der sich gut leben ließe, doch sie liegt hinter einer Glasscheibe mit einem Einschussloch.
Der Roman spielt in den 1980er und 90er Jahren, zu einer Zeit also, in der sich jeder Ire die Frage stellen musste:
bin ich für oder gegen die IRA?
Für oder gegen den bewaffneten Kampf?
Der Held des Buches ist Johnny Donnelly. Er ist zu Beginn neunzehn Jahre alt, arbeitet als Schreiner in einer größeren Firma. Er ist beliebt und schlagfertig, hat Freunde, geht aus, genießt das Leben. Mit seinen zwei Brüdern und der Schwester lebt er noch im Haus der Eltern. Rundherum leben einige Tanten und Onkel, zu seinem ehemaligen Lehrer Delaney hat er immer noch Kontakt und ein gutes Verhältnis.
Johnny verliebt sich in die zwei Jahre jüngere Cora Flannery, ein Mädchen mit Augen so grün wie die Insel.
Cora geht noch zur Schule. Sie plant, danach ein College zu besuchen, sie möchte Lehrerin für Irisch werden.
Cora ist eine überzeugte Irin, zitiert gerne aus den Legenden des Landes, spricht natürlich Irisch. Ihr Lieblingsort ist Cuchulainns Burg, benannt nach einer der bedeutendsten Heldenfiguren der irisch-keltischen Mythologie,
Cú Chulainn. Hier fühlt sie den Geist der Vorfahren und ihrer Geschichten, hierher kommt sie, wann immer sie kann.
Eine weitere wichtige Person in Johnnys Leben ist Bob Hanratty. Er arbeitet in der gleichen Firma, steht kurz vor der Rente, und ist eine Art Mentor Johnnys. Bob ist derjenige, der immer wieder vor den Augen des jungen Mannes erscheint und mit ihm spricht: er ist das personifizierte Gewissen Johnnys.
Denn nach jahrelanger und felsenfester Überzeugung, das Richtige zu tun, beschleicht Johnny im Lauf der Geschichte der Gedanke, dass es nichts bringt, was er da macht.
Er führt ein Doppelleben. Und das beruht auf einem Erlebnis als Kind, das sich in sein Gehirn eingebrannt hat.
"Dads Fenster war noch immer offen und das erste, was ich sah, war dieses große schwarze Gewehr, das Dad seitlich am Kopf traf. ... Ich sah, wie Dad nach dem Schlag wieder zu sich kam, doch als er sich zum Fenster drehte, gab es nur noch diesen Gewehrlauf, der direkt in seinem Mund verschwand. ... "Ich werde dich töten." ... Die Stille schien kein Ende zu nehmen. Dann erschien ein Kopf am Fenster und beugte sich herein und zog sich wieder zurück, und ich hörte Stimmen und Gelächter. "Hat sich in die Scheiß-Hosen gepisst", hörte ich den Soldaten grölen. ... "Abhauen, ... Fahr los Paddy
Piss-Pants."
Da war Johnny sechs Jahre alt. Die Familie befand sich auf dem Rückweg von einer Einkaufstour nach Newry, Nordirland, zurück nach Hause, d.h. nach Dundalk, kurz hinter der Grenze, zur Republik Irland gehörend.
Die Soldaten hatten sich einen Spaß gemacht.
Dieser Demütigung des Vaters vor den Augen seiner Kinder folgt einige Jahre später der Hungerstreik einiger Aktivisten. Bei dieser Aktion (1981) kamen in britischen Gefängnissen in Nordirland zehn Menschen ums Leben.
Dort kommt es zu Unruhen, in der Republik wird das Geschehen eher distanziert verfolgt. Doch den zehnjährigen Johnny lassen sie nicht los. Er sieht, dass die Streiks nichts gebracht haben. "Das Einzige, was in diesem Krieg zählt, ist, den Feind aus Irland zu vertreiben." Also die Briten.
Anhand eines Aufsatzes in Geschichte erkennt der Lehrer Delauney das Potential, das in Johnny steckt. Der Junge scheint ein geborener Kämpfer zu sein. Er nimmt ihn unter seine Fittiche und bildet ihn persönlich zum Scharfschützen aus. Zehn Männer möchte Johnny töten, als Rache für den Vater und die Toten des Hungerstreiks.
Mit sechzehn begeht er seinen ersten Mord.
Er ist ein exzellenter Mann: ruhig und besonnen, kaltblütig und zielstrebig. Lange Zeit überzeugt von seinem Tun..
Zweifel kommen ihm, als er Cora verspricht, immer ehrlich zu ihr zu sein, und vor allem, niemals etwas Böses zu tun.
"Du würdest da nicht mitmachen,Johnny, oder?
Was ist mit diesen schrecklichen Bomben? Du würdest nichts Böses tun, stimmt´s? -
Nein, Cora, ich werde nichts Böses tun:"
Bomben hat er ja auch keine gelegt. Er tötet gezielt.
Soldaten, nicht willkürlich Zivilpersonen.
Doch bringt das mehr als die Hungerstreiks?
An die Effizienz von Friedensgesprächen glaubt Johnny nicht, das macht er Cora gegenüber deutlich.
Eines Tages verlässt Johnny Dundalk. Er studiert am College, er möchte Lehrer werden, eine Option, die er bisher immer abgelehnt hatte. Er unterbricht sein Studium, weil er längere Zeit krank ist, dann unterrichtet er eine Weile in Hamburg.
Mit Aisling, Coras Schwester, fährt er für zwei Wochen nach London und stellt fest, das Britannien gar nicht so schlimm ist, wie in seiner Vorstellung. Später wird er eine lange Wanderung - Johnny nennt sie Pilgerreise - unternehmen. Monatelang durchstreift er die Insel.
Das gibt ihm genug Zeit, über sein Leben und seine Sehnsüchte nachzudenken.
"Es ist leicht, in den Krieg hineinzukommen, aber wieder heraus? Ich wäge die Möglichkeiten ab, die mir bleiben, ..."
Und etwas später:
"Ist das Leben nicht beschissen gemein, Aisling?
Gerade als ich dachte, ich wäre draußen, wurde ich wieder hineingezogen."
Johnny durchläuft all die Phasen, die in den Jahren um die Zwanzig normal sind. Die Themen, die für jeden jungen Menschen von Bedeutung sind, werden besprochen, der Leser begleitet den Helden auf seinem Weg ins Leben.
Dazu kommt bei Johnny jedoch die besondere Situation des Landes, in dem er geboren wurde, und dies macht den Roman zu einem politischen Buch.
Er zeigt den Jahrzehnte alten Konflikt konkret an einer Person auf, und er zeigt, dass es wirklich und ganz konkret um Leben und Tod geht.
Und er zeigt auch, dass der junge Held kein Monster, keine Tötungsmaschine ist, im Gegenteil, er ist ein verantwortungsbewusster und lebensbejahender Mensch.
Eine schwarz-weiß-Zeichnung wäre einfacher gewesen,
wäre dem Thema aber nicht annähernd gerecht geworden.
So, wie Mulholland seinen Roman verfasst hat, unternimmt man beim Lesen selbst eine Reise durch ein Land mit langer Geschichte und mit vielen Legenden, vergisst streckenweise den Krieg. Bis man daran erinnert wird, dass Johnny ein Terrorist ist.
Mark Mulholland: Eine wahnsinnige und wundervolle Welt
Übersetzt von Ilka Schlüchtermann
Osburg Verlag, 2017, 300 Seiten
(Originalausgabe 2014)