Sophia Mott - Dem Paradies so fern -
Martha Liebermann
Das Paradies ist lange schon verloren, es war das schöne große Haus am Wannsee mit dem weitläufigen Garten, der nach genauen Vorgaben des Eigentümers angelegt worden war.
Max Liebermann, Professor der Akademie der Künste, gefeierter Maler, alteingesessener Berliner - er hatte das Haus am Rande der Stadt erbauen lassen, es war Rückzugsort für die Familie, aber auch Ort großer Feste.
Der Roman stellt Martha Liebermann, 1857-1943, in den Mittelpunkt. Die beiden heirateten 1884, da war Max noch nicht der berühmte Maler, aber er kam aus guter Familie.
Sie kannten sich seit Kindertagen, die Familien waren eng befreundet, Berliner Juden, die sich niemals als Fremdkörper in der aufstrebenden Stadt empfanden.
Es sei hier gleich ein ausführliches Zitat eingefügt.
1934 sagte Max Liebermann in einem Interview anlässlich seines 87. Geburtstages zu einer amerikanischen Journalistin:
"Mein janzes Leben glaubte ich Deutscher zu sein und jetzt - was bleibt mir übrig! Was bin ich denn nu? Bin ich kein deutscher Maler mehr? Sind nur noch die anderen Deutsche, die, die Heil brüllen und den Herrn Hilter wählen?
Ist `deutsch sein´ abhängig von der Relijion oder von der politischen Meinung oder von beidem? Ich sag ihnen was, leben und leben lassen, das ist jute preußische Tradition und hat hier die besten Menschen hervorjebracht. Meine Vorfahren kamen aus Märkisch Friedland, das war mal polnisch und mal deutsch, dem Fontane seine kamen aus Frankreich, da sind hier also in Berlin katholische und lutherische und jüdische und calvinistische Menschen zusammenjekommen, und das alles hat Berlin zu einer der lebendigsten Städte jemacht mit den hellsten Köpfen und der interessantesten Kultur. Ich sage ja nicht, dass es leicht ist, diejenijen jelten zu lassen, die was janz anderes denken und fühlen und möchten wie man selbst. Ich hab mich aber in meiner Zeit als Akademiepräsident immer bemüht, jrade auch den Malern zur Seite zu stehen, deren Sachen mir fremd waren, das hat mich manchmal Überwindung jekostet. Toleranz ist Arbeit und nicht immer ein Vergnüjen.
Nu aber kommen finstre Zeiten, das wird lange, lange dauern, das jeht über unsere janze Welt."
In diesem Geist lebte das Ehepaar Liebermann.
Ich habe deshalb so ausführlich zitiert, weil momentan die Frage, was `deutsch´ ist, wieder diskutiert wird.
In einem Geist, der sehr eng ist...
Liebermann war hier wesentlich toleranter.
Die Fragen: Weggehen? Wohin? stellen sich ab 1933, aber man ist doch Teil der Gesellschaft, teilt die Traditionen und Werte, religiös sind beide nicht.
Diese Haltung verhindert eine rechtzeitige Ausreise.
Max stirbt im Februar 1935, er hat die Anfänge des National-sozialismus erlebt, Martha muss mit über achtzig Jahren fürchten, in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden.
Im Kern handelt der Roman vom Kampf einiger Männer und Frauen um die Ausreisegenehmigung aus Deutschland und die Einreiseerlaubnis in die Schweiz oder nach Schweden für Martha Liebermann.
Er handelt von Mut und dem Verantwortungsbewusstsein einiger Weniger, die in der neuen Zeit alte Tugenden hochhalten und dafür ihr Leben riskieren.
Der Roman beginnt im Herbst 1941. Martha denkt an die Vergangenheit, bzw. träumt sich in sie zurück. Sie sieht ihren Mann, die Tochter Käthe, die Enkelin Maria, den Dackel, merkwürdigerweise Riezler, den Schwiegersohn, nie.
Dabei ist es ihm zu verdanken, dass Käthe und Maria in Sicherheit sind. Riezler hat eine Professur in New York angenommen, sie sind rechtzeitig emigriert.
Martha wollte nicht mitkommen. Alles zurücklassen, das ganze Leben und den Kindern auf der Tasche liegen?
Nun ist es zu spät. Martha hatte die Wohnung am Pariser Platz verlassen und eine kleinere am Tiergarten genommen. Das Haus am Wannsee hatte sie 1940 zu einem Spottpreis an die Reichspost verkaufen müssen. Ihr gesamter Besitz ist registriert oder eingefroren, um eine Ausreisegenehmigung zu bekommen, müsste Martha die astronomische Summe von 50000 Schweizer Franken bezahlen - das ist unmöglich.
Hatte sie doch auch erst 72400 Reichsmark für einen "Heimeinkaufsvertrag" in Theresienstadt zahlen müssen!
Sie hätte zwar Bürgen und Möglichkeiten, in der Schweiz oder in Schweden zu leben, aber sie hat keine Chance, Deutschland zu verlassen.
Albrecht Graf von Bernstorff und Edgar Baron von Uexküll sind es vor allem, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzten und große persönliche Risiken eingehen, um Martha zu retten. Einige andere sind ebenfalls daran beteiligt. In diesem Kreis wurde auch die Frage gestellt, warum man einer fünfundachtzigjährigen Frau zur Flucht verhelfen sollte, das viele Geld aufbringen, ob es nicht sinnvoller ist, jüngere Menschen zu retten?
Diese Überlegungen verbitten sich die genannten Herren - für sie geht es darum, ein Menschenleben zu retten, das Leben einer Person wird nicht mit Nützlichkeit gegen-gerechnet.
Erwähnt seien hier aber auch die beiden Dienstmädchen Marie und Alwine, die entgegen allen Verordnungen bei Martha bleiben - bis zum Schluss.
Der Roman erzählt in zwei Strängen: die aktuelle Situation Marthas von 1941 bis zu ihrem Tod 1943, dazwischen sind Rückblicke eingearbeitet, die von der Kindheit über die Jugend bis in die lange gemeinsame Ehe mit Max das Leben einer Frau erzählen, die immer im Schatten des großen Malers stand.
Diese Erzählweise macht den Roman zugleich zu einer Biographie und zu einem Stück über die Zeit, reich an kulturellen und politischen Details und der genauen Zeichnung gesellschaftlicher Entwicklungen.
Martha erscheint als eine Person der Zeit. Sie hing keinen emanzipatorischen Ideen an, sie führte das Haus - eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, und sie war Ehefrau.
"Als Martha anfing, Max Leben zu teilen, da teilten sie sich sein Leben und nicht ihres. Im Übrigen war die Teilung nicht einmal halbe-halbe. Er bekam drei Viertel, ein Viertel war ihres oder neun Zehntel seines und nur ein Zehntel ihres. Mit zunehmendem Alter erschien ihr das Verhältnis immer ungleicher. Vielleicht weil Max so unleidlich wurde, oft brummig war und sie seiner Ansprüche müde. An den Ruhm gewöhnte man sich. Und doch war es ein Glück, ihn geheiratet zu haben. Wunderbar und am Anfang ihrer Ehe nicht vorhergesehen oder gar erwartet, die Ehrungen, die in der zweiten Lebenshälfte auf ihn und damit auch auf sie niederregneten... Natürlich tat das gut, auch wenn es ihren Groll auf seine Marotten immer weniger linderte.
Dennoch gab es nie Zweifel. Ein anderes hätte kein besseres Leben sein können. Unebenheiten mussten ertragen werde wie Krankheiten."
Martha scheint mit ihrem Leben an Max Seite zufrieden gewesen zu sein. Ihre letzten acht Lebensjahre, ihre Jahre
als Witwe, waren zu sehr von der Politik geprägt, von den täglichen Entbehrungen, Beleidigungen und schließlich der Gefahr der Deportation, dass sie sich, wenn nicht mit der Vergangenheit, dann mit dem Tod beschäftigte.
Als die Polizei kam, um sie abzuholen, war sie vorbereitet.
Sophia Mott: Dem Paradies so fern -
Martha Liebermann
ebersbach & simon, 2019, 336 Seiten