Donatella di Pietrantonio - Arminuta
"Da bist du ja, sagte sie. Stell dein Zeug ruhig ab." Das ist die Begrüßung der "Frau, die mich geboren hatte".
Die Ich-Erzählerin ist die dreizehn Jahre alte Arminuta, die von einem Tag auf den anderen, ohne zu wissen warum, an ihre leiblichen Eltern zurück gegeben wird. Zurück ins Dorf, in die Armut, in die Rohheit und den Dreck.
Bis dahin lebte sie in der Stadt, hatte ein feines Zuhause mit Ballettunterricht, liebevollen Eltern und schönen Zukunfts-aussichten.
Der Mann, den sie Vater nennt, hat sie hierher gefahren.
Ihre Eltern hätten sie wieder haben wollen, erklärt man ihr.
Sie muss sich das Bett mit ihrer jüngeren Schwester Adriana teilen, in dem Zimmer schlafen auch noch die älteren Brüder. Von Privatsphäre keine Spur.
Die Mutter ist mit dem Jüngsten beschäftigt, der Vater spricht kaum, eher schlägt er zu. Nur Arminuta rührt er nicht an.
Am schlimmsten ist jedoch die quälende Frage, was geschehen ist, was sie falsch gemacht hat, dass sie wie ein "Paket" hier abgegeben wurde. Sie fühlt sie verstoßen, dieser fremden Familie nicht zugehörig, sie will nichts anderes,
als wieder zurück in die Stadt zu der Frau, die bislang ihre Mutter für sie war.
Damit einher geht die Frage, welche der beiden Frauen nun eigentlich ihre Mutter ist: die, die sie geboren, oder die, die sie aufgezogen hat? Die "Dorfmutter" oder die "Meermutter"?
"Mit zwei lebenden Müttern wurde ich zum Waisenkind.
Die eine hatte mich noch mit ihrer Milch auf der Zunge weggegeben, die andere hatte mich mit dreizehn zurück-gebracht. Ich war die Tochter von Trennungen, falschen oder verschwiegenen Verwandten, Entfernungen. Ich wusste nicht mehr, woher ich stammte. Im Grunde weiß ich es bis heute nicht."
Im Lauf der Zeit entwickelt sich ein enges Band zwischen
den beiden Schwestern. Adriana ist ein aufgewecktes und mutiges Mädchen, praktisch und intelligent. Von ihr lernt Arminuta "Widerstand leisten" und Zusammenhalt.
Als sich Arminuta zum ersten Mal für ihre leiblichen Eltern schämt (ihre Kleidung, ihren Dialekt, ihre unbeholfene Art), erkennt sie: "Mit dieser Scham begann ich meine ersten Eltern anzuerkennen."
Diesen Konflikt zwischen Annäherung und nichts lieber als sofort wieder weg wollen, zwischen vorsichtiger Zuneigung und der Angst, zuückgewiesen zu werden, die Erfahrung von unbedingter Solidarität durch Adriana, die aber immer auch eigene Ziele verfolgt, beschreibt Donatella die Pietrantonio sehr genau.
Aus dem Thema hätte ein kitschiges Rührstück werden können, doch sie stellt die Stärke Arminutas und Adrianas in den Mittelpunkt. Auch die beiden völlig unterschiedlichen Mütter gewinnen an Kontur und Charakter.
"Nach allem, was passiert ist, stehst du aufrecht da...",
so die Mutter einer Freundin Arminutas, am Ende des Romans, als die Vierzehnjährige endlich erfahren hat,
warum sie ins Dorf geschickt wurde.
Ein lesenswertes Buch über Verantwortung und Liebe im Kleid der Familiengeschichte!
Donatella di Pietrantonio: Arminuta
Übersetzt von Maja Pflug
Verlag Antje Kunstmann, 2018, 224 Seiten
dtv, 2020, 224 Seiten
(Originalausgabe 2017)