Franka Potente - Zehn
Der Name Franka Potente ist untrennbar mit "Lola" verbunden: als äußerst willensstarke Frau rennt Potente mit viel Ausdauer durch den Film von Tom Tykwer, um Geld für ihren Freund Manni zu beschaffen. Doch die Schauspielerei ist nicht ihr einziges Talent: mit "Zehn", das sind zehn in Japan spielende Kurzgeschichten, veröffentlichte sie ihr drittes Buch. Mittlerweile hat sie auch einen Roman geschrieben ("Allmählich wird es Tag"), dieser erschien 2014.
"Zehn", das sind hauchzarte, sehr fein und zurückhaltend geschilderte Begebenheiten aus dem Herzen der japanischen Kultur. So ist das Zusammentreffen japanischer und westlicher Mentalität Thema in einigen der Stories.
Gleich in der ersten Geschichte betritt ein Mann, der wohl ein Geschäftsreisender ist, einen kleinen Laden, in dem handgearbeitete Fächer verkauft werden. Er erwirbt ein besonders schönes Stück, das für die Ladenbesitzerin von großer persönlicher Bedeutung ist. Aus finanziellen Gründen ist sie gezwungen, diesen erinnerungsbehafteten Fächer trotzdem zu verkaufen. Herr Schreiber nimmt den Fächer für seine Tochter mit nach München, schickt ihn aber nach kurzer Zeit zurück: er hat begriffen, dass dieser Fächer zu Frau Michi gehört.
Zwischen diesen beiden Menschen hatte sich ein zartes Gespinst aus gegenseitigem Erkennen gebildet, die wenigen kurzen Begegnungen ließen keine Vertiefung zu, aber die Andeutungen, auch die Verweise auf die Traditionen
("Die Damen verbergen hinter dem Fächer ihr Gesicht, ihre Gefühle, zum Beispiel im Gespräch mit einem Herrn. Solche Situationen kommen heute natürlich nicht mehr so oft vor. Aber trotzdem trägt jede Frau in Japan ihren unsichtbaren Fächer.") führen ein in die Mentalität des fernen Landes.
In der Geschichte "Das schwedische Haar" verliebt sich ein junger Mann Hals über Kopf in eine schwedische Studentin, die ein Praktikum in Japan macht. Sie ist eine energiegeladene Person und sie hält ihre Lebensfreude nicht zurück. Für ihn ist sie eine Samurai, eine aufrechte Kämpferin, eine Königin. Wegen ihr kommt er zum ersten Mal zu spät zur Arbeit, er weiß, dass das nie wieder vorkommen darf. Obwohl er sie heiß begehrt, rennt er morgens aus dem Haus, ein zu Boden gefallener Bademantel war eine eindeutige Einladung von ihr an ihn: er hat sie nicht angenommen.
Es ist nicht nur die Pflicht, die ihn ruft: er kommt mit ihrer direkten Art nicht zurecht, sie überschwemmt ihn mit ihrem Elan, er gibt sich geschlagen.
Ein anderes Licht wirft die Geschichte "Kyoiku-Mama": hier absolviert eine schwangere Frau ein strenges Trainingsprogramm. Klassische und moderne Musik, Literatur, Sprachen, geschichtliche Dokumentationen etc.
Es scheint eine Gewissheit zu sein, dass all das Wissen, das sich die werdende Mutter aneignet, irgendwie auch das Gehirn des Kindes erreicht. Sie versucht so, diesem eine gute Startposition ins Leben zu sichern.
Der Großvater des Ungeborenen "war Ingenieur und wünschte sich diese Laufbahn auch für den Enkel. Man ging allgemein davon aus, dass Mariko einen Jungen gebären würde."
Als Mariko erfährt, dass sie ein Mädchen erwartet, behält sie dieses Wissen erstmal für sich. Sie freut sich, und sie ist die Einzige damit...
In "Das Monster" gibt sich eine junge Mutter kurz dem Traum hin, ihr Kind, ein kleiner böser Teufel, der sie terrorisiert, würde vom Balkon stürzen. Dann hätte sie endlich ihre Ruhe. Es fällt nicht.
In einer anderen Geschichte wäre ein Ehepaar um ein Haar in eine sehr peinliche Situation geraten, weil aus Versehen ein Geschenk vertauscht wurde. Es geht aber nochmal gut.
Die zehnte Story handelt von einer jungen Frau, die für ein Jahr nach Amerika geht und sich dort sehr wohl fühlt, befreit von dem kulturellen Ballast und den vielen strengen Benimm-Vorschriften ihrer Heimat. Der Tod des Großvaters ruft sie vorzeitig zurück. Sie ist selbst darüber erschrocken, dass ihr nicht "nur" der Verlust des Großvaters die Tränen in die Augen treibt, sondern auch die Tatsache, dass sie zurückkehren muss. Die wenigen Monate im Ausland hatten gereicht, um ihr deutlich zu machen, dass sie nicht mehr ohne die Freiheiten des Westens leben möchte.
Franka Potente hat die Gabe, ihren Figuren nahe zu kommen, sie aber an keiner Stelle zu entblößen. Wie die Frauen, die ihre Gesichter hinter unsichtbaren Fächern verbergen, wahrt sie stets eine Distanz, einen Schutzraum.
Egal, ob sie kichernde Mädchen oder einen verzweifelten Mann, der ein Reiskorn sucht (in dem nach altem Glauben viele Götter wohnen), beschreibt, sie tut dies mit Sympathie und dem Wunsch, den Leser zu informieren, ihm ihre Kenntnisse der japanischen Kultur und Mentalität mitzuteilen, ihn aufzuklären.
Sie findet dafür eine schlichte, unaufgeregte Sprache, arbeitet auch gerne mit Träumen, die wie Verweise wirken. Sie macht den Leser mit Männern und Frauen aller Altersgruppen bekannt, an manchen Stellen erklärt sie vielleicht etwas zu viel, aber das schadet den Erzählungen nicht. Sie hat etwas zu erzählen und sie kann es.
Franka Potente: Zehn
Piper Verlag, 2010, 176 Seiten
Piper Taschenbuch, 2012, 176 Seiten