Joao Ricardo Pedro - Wohin der Wind uns weht
Portugal, 25. April 1974, es findet die sogenannte "Nelkenrevolution" statt,
die das Land von der ältesten Diktatur Westeuropas befreit.
An diesem Tag setzt der Roman Pedros ein. Und zwar mit der Ermordung eines Mannes namens Celestino, der vor vierzig Jahren verletzt in einem Dorf am Fuß des Gardunha-Gebirges auftauchte und von Doktor Augusto Mendes gerettet wurde. Mendes und einige Bekannte sind die Einzigen, die an diesem 25. April auf die Ereignisse im fernen Lissabon reagieren und diese besprechen.
Sie sprechen über die politischen Entwicklungen und Führer, wer auf wen folgt, Thema sind auch die Kolonien und die Soldaten dort - der Zustand des Landes ist der Hintergrund für die Nachricht
von Celestinos Tod. Und die Frage, wer nun, nach vierzig Jahren, eine alte Rechnung beglichen hat.
Diese Frage wird nicht konkret beantwortet werden, sie ist das erste Rätsel, von dem es in diesem Roman viele gibt.
Neben Augusto Mendes lernt der Leser seine Frau Laura kennen, den Sohn Antonio - im Text "Vater", denn die Geschichte wird aus der Sicht (aber nicht in der Ich-Form) des Enkels Duarte erzählt, sowie Duartes Mutter Dona Paula und einigen Nebenpersonen.
Die allerdings für den Roman sehr wichtig sind.
Da wäre der Indio, ein enger Freund Duartes, der unglaublich gut zeichnen und malen kann, so wie Duarte als junger Mann ein Pianist ist, von dem erwartet wird, dass er der größte Beethoven-Interpret seiner Zeit wird.
Bis er Beethoven aufgibt, wie er später Bach aufgeben wird und schließlich die Musik selbst.
Man lernt den Klavierlehrer kennen, einen Mann, der von einem dunklen Schicksal umgeben ist.
Es gibt einen Arzt, dem Duarte gesteht, dass nicht er angefangen habe, Klavier zu spielen, "das waren meine Hände" und der in diesen Worten einen Komplizen erkennt.
Auf die Frage der Mutter, warum er die Musik aufgegeben habe, wird Duarte später, kurz vor ihrem frühen Tod, antworten: "Hass." Aber das war es nicht, die Antwort klingt wie einstudiert und wie eine Ausrede.
Dona Paula wurde mit sechzehn Jahren Waise. Ihr Vater war politisch aktiv, eines abends wurde er abgeholt, am Tag darauf erhielt ihre Mutter die Nachricht, ihr Mann sei überraschend verstorben, vermutlich an einem Hirnschlag.
Ihre Mutter kam bei einem Unfall ums Leben: sie wurde von einer Straßenbahn überfahren.
Das Wort "Waise" löst viele Gefühle und Gedanken in Duarte aus, es ist das Schlimmste, was er sich vorstellen kann.
Als Halbwaise wird er zum Vertrauten des Vaters. Nicht in der Form, dass sie so etwas wie Freunde geworden wären. Aber er leistet ihm einen letzten Dienst: er bringt ihm den Revolver des Großvaters, mit diesem setzt der Vater seinem Leben kurz nach dem Tod seiner Frau ein Ende.
Der Vater, Antonio Mendes, war schwer traumatisiert aus dem Kolonialkrieg, den Portugal in Angola führte, zurückgekehrt. Und nie wieder auf die Beine gekommen.
So zieht sich die Geschichte des Landes durch die Geschichte der Familie Mendes, der Leser lernt sie Stück für Stück kennen.
Ein Freund des Großvaters, Policarpo, verbindet das kleine, ziemlich isolierte Land am Rande Europas mit der Welt.
Policarpo verlässt Porugal als junger Mann und reist um die Welt. Er lernt viele Hauptstädte kennen, viele Menschen und lässt sich schließlich in Buenos Aires nieder.
Viezig Jahre lang schreibt er jedes Jahr einen Brief an Augusto Mendes, der diese Briefe sowohl beantwortet als auch aufbewahrt. Sie sind ein Schatz für ihn und für Duarte.
Denn Augusto liest Duarte daraus vor, zitiert ganze Passagen und so lernt Duarte die Welt durch Policarpos Briefe kennen.
Ein einziger Brief fehlt und als er später auftaucht ist er unvollständig: der aus dem Jahr 1975.
In ihm reflektiert Policarpo die Erzählung des Großvaters, wie er Celestino rettete, ihm ein Glasauge einsetzte und wie Celestino darauf reagierte. Von hier aus kommt er auf sein Hotel zu sprechen, das er einem Deutschen, genannt Robert (in Wirklichkeit hieß er Joseph Castorp) abgekauft hat.
Eine Bedingung Roberts war, dass er die alte Dame, die seit vielen Jahren in seinem Hotel lebte, weiterhin in ihrem Zimmer wohnen lassen sollte und nach ihrem Tod alles, was ihr gehörte, zu verbrennen sei.
Policarpo konnte aber ein Bild retten, das eine Frau, der ein Unterschenkel fehlt, darstellte. Dieses wurde vor Jahrzehnten in Wien gemalt, es ist eine Vergrößerung eines Details aus einem Breughel-Gemälde.
Dieses Bild kam auf Umwegen nach Argentiniern, ebenso die Frau die es malte und die es darstellt - seine Spuren führen zum Klavierlehrer und es ist jetzt in Duartes Besitz.
In ihm bündeln sich noch einmal viele Aspekte des Romans, den man aufmerksam lesen muss, um die Puzzleteile zusammen setzen zu können.
Der Roman ist sehr interessant komponiert.
Nachdem im ersten Teil die Personen eingeführt sind, entsteht um diesen Mittelpunkt herum ein Kreis nach dem anderen, die Ereignisse und Personen darstellen.
In sieben Teilen fächert er eine Geschichte auf, die in den einzelnen Kapiteln mit ihren Unterteilungen kleine Geschichten erzählen, die für sich stehen könnten.
So aber sind sie alle Teil einer großen Suche nach Herkunft und Heimat.
Joao Ricardo Pedro: Wohin der Wind uns weht
Übersetzt von Marianne Gareis
Suhrkamp Verlag, 2014, 229 Seiten
Taschenbuch: Suhrkamp, 2015, 228 Seiten
(Originalausgabe 2012)