José Ovejero - Aufstand

"Dir geht es gut, du machst was du willst, wo du willst, mit wem du willst. Und wenn jemand die Welt nicht versteht, wie sie sein wird, wenn die Ketten bersten, die sie niederhalten, blöd für ihn. Was zählt, ist, dass du dabei bist und ein Teil davon bist.

Dass auch du die nötige Energie erzeugst, du bist ein Teilchenbe-schleuniger, genau wie es deine Freunde sind. Wenn ihr euch alle an den Händen haltet, bricht das Unwetter los. Und alles andere ist zweitrangig. Alles andere ist egal. Fast. "

 

Teil von etwas Größerem sein, das kapitalistische System, das Menschen auf der ganzen Welt tötet, sprengen, ein selbst bestimmtes Leben im eigenen Rhythmus führen: Das ist der Wunsch Anas, die mit 17 ihr Zuhause verlässt und in ein besetztes Haus zieht. Sie hinterlässt keine Nachricht, niemand weiß, wo in der Millionenstadt Madrid sie sich aufhält.

 

Der raffiniert konstruierte Roman spielt 2017 vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwerfungen, die Spanien während und nach der Krise 2008 widerfuhren.

Menschen, die ihre Raten nicht mehr begleichen können, werden auf die Straße gesetzt. Angestellte werden entlassen, zu deutlich schlechteren Konditionen eventuell wieder eingestellt oder als Scheinselbständige beschäftigt. 

Jungen Leuten wird die Perspektive genommen, es wächst die erste Generation nach dem Krieg heran, der es im Vergleich zu ihren Eltern schlechter geht. Nicht nur finanziell, auch was Möglichkeiten und Rechte betrifft.

 

Auch Aitor, 47, Anas Vater, hat zu kämpfen. Er arbeitet beim Radio, wird zuerst befördert, dann aber in eine hintere Reihe zurückgeschickt, für deutlich weniger Geld. 

Ihm wirft Ana vor, ein Mann ohne Rückgrat zu sein, immer nur mitzuschwimmen, keine Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. 

 

Zwischen diese beiden Hauptpersonen, Ana und Aitor, 

ist der Roman gespannt, der zwei Generationen, zwei Lebensentwürfe neben- und gegeneinanderstellt.

 

Da ist der Vater, der seine Tochter idealisiert, sich daran erinnert, wie er sie im Schlaf beobachtete und sie "atmete".

Der versucht, irgendwie mit seiner geschiedenen Frau, Anas Mutter, zurecht zu kommen. Der immer wieder betont, dass er nichts gegen Anas Rebellion habe, aber...

Und da ist Ana, die mit 14 ihren ersten Ausbruchsversuch unternommen hat, nach einiger Zeit zurückkehrte, nun aber mit ihrem alten Leben gebrochen hat.

 

José Ovejero lässt die Figuren teilweise selbst sprechen, hier erzählt ein "ich". In anderen Teilen spricht er sie als ein "du" an, oder er berichtet als der außenstehende Autor von "ihr" bzw. "ihm". Dies erzeugt eine differenzierte Art von mehr oder weniger Nähe, gibt den Lesenden eine Idee, wie unterschiedlich ein Mensch gesehen werden kann, je nach Perspektive. 

So entwirft er eine dichter und dichter werdende Geschichte, die sich auf die Frage: Wird Ana den endgültigen Sprung aus ihrem Leben heraus in ein anderes Leben vollziehen? zuspitzt. Wird ihre Gruppe, die in "El Agujero - Das Loch" zusammenlebt, einen Anschlag verüben, den Aufstand in Gang setzten, den Flächenbrand anfachen, im Verein mit anderen Gruppen, die "terroristische Zellen" genannt werden? 

 

Diskussionen innerhalb El Agujeros, wie neue Formen des Zusammenlebens gefunden werden können, wie mit Dokumenten und Daten umzugehen ist, wie man sich die Stadt, die von Investoren und Touristen überschwemmt wird, wieder aneignen kann, wie man sich im Centro Social enga-gieren, wie Beziehungen jenseits des Patriarchats gedeihen können, wie "Zufriedenheit ohne jegliche Erwartungs-haltung" zu erlangen ist - José Ovejero verknüpft das Private und das Politische, er verknüpft es in Anas Leben anders als in Aitors. 

 

Aitor, der "Nest, Schutzwall, Erstickungstod" für Ana war, verzweifelt allmählich an der Ungewissheit. Er greift zu frag-würdigen Maßnahmen, um sie zu finden. Zum Glück weiß Ana nicht, dass er sich schließlich in einen Kuhhandel versteigt, der jenseits alles Akzeptablen liegt.

 

Ana ist die junge Rebellin, die sich die Hände schmutzig macht, so sehen es die, die ihre Ideale nicht teilen.

Aber, "sie weiß, dass die armselige Gewalt, die sie oder Menschen wie sie entfesseln können, nichts ist im Vergleich zu dem, was Politiker und Banker entfesseln können, während sie in die Kamera lächeln und sich Orden umhän-gen und von Demokratie, Zusammenleben und Wohlstand reden."

 

Ihr gehört das Herz José Ovejeros, geb. 1958 in Madrid, der eine starke junge Frau geschaffen hat, die nicht in ein "aber" verfällt, die sich freischwimmt.

Sie gießt ihre Gedanken und Gefühle in Gedichte. Hier einige Zeilen aus dem Poem, das den vielfältigen, sehr zu denken gebenden, starken Roman beschließt:

 

"Ich tadele euch nicht. Mit siebzehn

habe ich schon gelernt, dass das Leben

nur die Probe für ein Stück ist, das nie aufgeführt

wird.

...

Aber dich macht nur aus, was du bestimmst.

...

Papa, noch hast du Zeit:

Entsteige diesem Sarg, in dem du schläfst;

leg den Vampirumhang ab;

setz dich der Sonne aus, auch wenn sie dich versengt.

Aber du hast Recht: Wer bin ich,

dass ich jemandem Ratschläge erteile.

Wer

bin

ich."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

José Ovejero: Aufstand

Aus dem Spanischen von Patricia Hansel

Edition Nautilus, 2022, 328 Seiten

(Originalausgabe 2019)