Cees Nooteboom - Briefe an Poseidon

 

 


Cees Nooteboom wurde 1933 in

Den Haag geboren, heute lebt er abwechselnd in den Niederlanden und auf Menorca. Schon immer reiste er sehr viel, was sein ganzes Werk (auch seine journalistische Arbeit) prägt.

Wen wundert es also, dass Wasser ein wichtiges Thema für ihn ist?


Zu Poseidon speziell führte ihn ein Zufall: er hat sich ein Buch gekauft, befindet sich in einer besonderen, festlichen Stimmung, geht am Viktualienmarkt in ein Restaurant mit dem Namen "Poseidon". Das Bild auf der Serviette, den darauf abgebildeten Gott mit seinem Dreizack, nimmt er als ein Zeichen. Er beschließt, "Briefe zu schreiben, kleine Wortsammlungen, die von meinem Leben berichten."

So schlicht kann der Anlass für ein Buch sein, so scheinbar grundlos.

 

Der entstandene Band umfasst dreiundzwanzig Briefe, Poseidon überschrieben, und diesen direkt ansprechend.

Die anderen dreiundfünfzig (keiner ist länger als 3 Seiten) folgen keinem erkennbaren Schema. Sie gelten Tieren     (Esel, Stier, Walfisch), Gegenständen  (Stuhl, Stein oder Bücher), Pflanzen  (Agave, Posidonia) oder dem Garten, Ereignissen wie Krieg, Spaziergang und auch Menschen (Mädchen, Schwestern, Mann). Oder dem "Leben", dem "Blutmond",  "Circe" und anderen.

 

Eine sehr breite Palette an Themen, die kurz ins Licht der Betrachtung getaucht werden. Manchmal stehen sie in ganz direkter Verbindung zu Nooteboom selbst, manchmal geben sie nur die Initialzündung zu einer Kette von Gedanken, die weit vom Ausgangspunkt wegführen. 

 

Und es ist sehr interessant zu lesen, was ein Stein oder eine Vogelfeder für Assoziationen auslösen können in einem Mann, der die ganze Welt gesehen hat. Es macht ihm keinerlei Mühe, Verbindungslinien von den ganz kleinen Dingen zu den ganz großen Fragen zu ziehen. Da er sehr belesen ist und immer wieder auf Homer und die antiken Sagen oder auch den Dichter Hesiod zu sprechen kommt, verknüpft er Erscheinungen unserer heutigen Welt mit Geschichten aus uralter Zeit - um darin den Zeitbegriff auszuhebeln.

 

"Ein Lorbeerbaum steht am Rande des Feldes, leicht wie Wesen ohne Gewicht sind sie (die Musen) mit ihm (Hesiod) dorthin getanzt sie pflücken einen Zweig und geben ihn ihm, und in diesem Augenblick, als er dort steht mit dem noch duftenden Zweig in der Hand, spürt er, wie durch ihren Atem ein göttliches Gedicht entstanden ist, das er aussprechen muss, ein Gedicht über die Götter, die ewig sind, und über die Frauen, die ihn umringen, über sie immer als erstes und als letztes. Es ist das Gedicht, das ich jetzt lese in einer Stunde zwischen spätem Nachmittag und frühem Abend. ... vielleicht liegt es an der Abwesenheit anderer, jedenfalls haftet allem eine merkwürdige Heiligkeit an, als wäre es für einen Augenblick möglich, dass die Zeit zwischen damals und jetzt aufgehoben ist, dass alles wahr ist, der Hirte, der zum Dichter wurde, der frisch geschnittene Lorbeerzweig, die Bewegung der Frauen im Kreis um ihn, das Buch, das er schreiben würde, der Streit der Götter, ihre verwirrenden Liebschaften und grausamen Geheimnisse, die Worte, die ich lese, bis das Dunkel sie verwischt, Worte, die ich bewahre für das Licht des Tages, in dem sie neu geschrieben werden für den, der liest."

 

In diesem innigen Ton sind nicht alle Briefe geschrieben, aber ein jeder behandelt eine bestimmte Frage und endet mit einer kleinen "Moral". Diese letzten Sätze der Briefe lesen sich für sich genommen häufig recht schlicht, so wie allgemein gültige Aussagen oft klingen. Sie wirken wie ein letzter Ausläufer einer Welle, die für sich gesprochen hat und nun sanft im Sand verschwindet  - in der Bewegung lebt die Welle, hier übt sie ihre Faszination aus.

 

Die Briefe an Poseidon selbst finden ihren Anfang gerne in einer Szene aus der Mythologie. Von dieser ausgehend stellt Nooteboom seine Überlegungen an und spielt mit den Begriffen Wirklichkeit, Realität, Traum und Phantasie.

Was sind die Geschichten, die von den Göttern handeln?

Es kam der Augenblick, in dem wir Menschen begriffen, "dass alles ein Traum war, ein Gedicht, das von euch zu handeln schien, die ganze Zeit jedoch nur von uns handelte. .... Natürlich weiß ich, dass ich Briefe an niemanden geschrieben habe. Doch was ist, wenn ich morgen auf den Felsen einen Dreizack finde?"

 

Diese schwebende Mischung macht das Buch vielseitig anregend, die poetische Sprache macht es schön zu lesen.

Ergänzt wird es durch eine Reihe Fotos im Anhang auf denen ein altes Bild, eine Pflanze, eine alte Seekarte, ein Blatt, ein Kunstwerk etc. oder auch einfach eine Serviette zu sehen sind - eben diese kleinen und großen "Anreger", die die Ideen zu den Briefen an niemand, an sich selbst, an alle, auslösten.

 

 

 

 

 


Cees Nooteboom: Briefe an Poseidon

Übersetzt von Helga von Beuningen

Suhrkamp Verlag, 2012, 224 Seiten

Suhrkamp Taschenbuch, 2014, 224 Seiten

(Niederländische Originalausgabe 2012)