Constanze Neumann & Petra Müller (Hrsg.) -

Ciao Italia! Eine weibliche Reiseverführung

Frauen lesen anders - reisen Frauen auch anders? Oder schreiben sie anders darüber? Nach der Lektüre dieses sehr erfrischenden Bandes mit zwanzig Texten aus vier Jahrhunderten lautet die Antwort JA. Es fehlen baedeckerartige Erläuterungen zu Kunst und Kunst-geschichte, und damit das ausgestellte Wissen. Es fehlt die ausführliche Beschreibung der Mühsal des Reisens, diese wird hier zwar gestreift, aber nicht ausbuchstabiert. Und es fehlt auch das gewisse `ICH reise´, hier ist es `ich reise und beobachte´.

 

Die einzelnen Texte des auch äußerlich sehr schön gestalteten Lesebuchs beginnen mit einer in Rot gehaltenen Abbildung der Stadt, über die die Reisende schreibt, und man erfährt, um welche Ansicht es sich handelt. Dem Namen der Autorin ist eine Kernaussage ihres Briefes, Tagebucheintrags, Essays oder Romanauszugs zur Seite gestellt, eine schöne Einstimmung. 

Diesem Auftakt folgt ein Kurzporträt der Schriftstellerin mit dem Augenmerk auf ihre ganz persönliche Verbindung zu Italien, dem Sehnsuchtsland nicht nur der Deutschen.

 

Der erste Text stammt aus der Feder Lady Mary Wortley Montagus (1689-1762). Sie reist mit Mann und dreijährigem Sohn quer durch Europa bis in den Orient. Auf der Rückreise verbringt sie 1718 einige Zeit in Genua und Turin, von diesen Städten erzählt sie ihrer Schwester in eleganten und anschaulichen Briefen. Sie beschreibt nicht nur die Städte mit ihren Kirchen und Schätzen, sondern berichtet auch von der Einrichtung der Quarantäne, die sie in einem sehr schönen, außerhalb der Stadt gelegenen Haus verbringt.

Sie blickt auf die herausgehobene Position der Familie Doria in Genua und sie geht auf die "Cizisbei" ein. Das sind Bedienstete, die die Damen anstelle ihres Ehemanns begleiten, auch "Cavalier servente" genannt. Diese tragen zum Frieden aller bei, der Frauen und Männer.

 

Luise von Göchhausen (1752-1807), eine Weimarer Hofdame, schreibt in ihrem Reisetagebuch über diverse Begegnungen mit Goethe und wie vergnüglich ein Abend mit selbigem und einem guten Bier sein kann.

 

George Sand (1804-1876) bemerkt, wie wichtig der Kaffee in Italien ist und macht mit den "Miethkutschern" bekannt. Diese haben nicht nur die Funktion eines Chauffeurs, sie müssen ihr auch "Schutz gewähren". Denn die abenteuer-lustige Dichterin liebt es, die Berge zu Fuß zu durchwandern, dort drohen diverse Gefahren. "Der Corlone versprach mir, tapfer vorwärts zu gehen und die Räuber, die ihm begegnen sollten, tüchtig zu hauen."

 

Anna Löhn ((1830-1902), Freigeist und Gründerin des Ersten Dresdner Frauenbildungs-Vereins, erkennt schnell, dass die Männer sehr gerne in Cafés sitzen und es die Frauen sind,

die den Lebensunterhalt der Familien sichern. Ihr gefällt die laute, echte Freundlichkeit, mit der die Menschen sich begegnen, vergnüglich zu lesen sind ihre Bemerkungen zu Frisören und Schuhputzern, denn: "Auf Kopf und Füße hält der Italiener viel."

 

Annette Kolb (1870-1967) ist nicht so begeistert von Venedig wie viele andere, Virginia Woolf (1882-1941) macht sich  (freundlich) über ältliche Damen lustig, Sybille Bedford (1911-2006) sieht im Autofahren einen "Balztanz":

"Das Auto muss Gottes besonderes Geschenk für die Italiener sein. ... Fiat, Lancia oder Alfa, das sind die schönen Federn, mit denen sich der junge Mann schmückt, am Steuer wird er zu einem Paradiesvogel, der einen Balztanz aufführt - liebe mein Auto, liebe mich."

Christine Wolter (geb. 1939) schreibt ganz wunderbar über ihren Alltag in Bologna und über die wohltuende Normalität der Stadt, die "einen atmen" lässt und nicht mit ihrer Fülle an Schönheit erdrückt.

Ganz persönlich sind die "Urlaubseindrücke" Eva Menasses (geb. 1970), die eine lange und ganz familiäre Beziehung zu Jesolo, dem Badeort nicht weit von Venedig, hat:

"Warmer Sand und regelmäßige Mahlzeiten. So, wie die Welt derzeit ist, nicht die schlechteste aller Vorstellungen."

 

So unterschiedlich die Dichterinnen, so verschieden sind ihre Texte. Generell fällt auf, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Besonderheiten der jeweiligen Städte oder Land-schaften richten, durch die sie reisen. Sie verfügen wie die Männer über historische Kenntnisse, sind empfänglich für Kunst und Architektur, sie blicken aber auch mit großem Interesse auf die Menschen und deren Alltag.

Dieser Blickwinkel bereichert das von Männern gezeichnete und dominierte Italienbild immens!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Constanze Neumann und Petra Müller (Hrsg.):

Ciao Italia! Eine weibliche Reiseverführung

Mit einem Nachwort der Herausgeberinnen

Die Andere Bibliothek, 2024, 324 Seiten