Sara Mesa - Eine Liebe

Um Schuld und Sühne, um Vergebung und Strafe geht es in diesem Roman, der sich ganz auf Nat konzentriert, eine junge Frau, die alleine in ein Dorf im spanischen Hinterland zieht. Sie wird neugierig und misstrauisch betrachtet, wie ein Insekt liegt sie unter der Lupe der Dorfbewohner. Warum ist sie hier? Diese Frage wird immer wieder gestellt, ganz eindeutig kann selbst Nat sie                                                            nicht  beantworten.

 

Sie hat ihre Festanstellung nach einem Vorfall, den sie selbst zu verantworten hatte, gekündigt, und möchte nun statt technischen Texten ein Theaterstück übersetzen.

Doch damit kommt sie kaum voran, zu viel Arbeit macht ihr das alte Haus mit dem verwilderten Garten, das sie gemietet hat und das sie bewohnbar machen möchte.

 

Der Vermieter ist ein harscher Mann, der mit seinem Schlüssel einfach hereinkommt, ihr auf die Brüste starrt, einmal ekelhaft zudringlich wird, aber nicht daran denkt,

das kaputte Dach zu reparieren.

 

Dies übernimmt "der Deutsche", der wie Nat eines Tages aus dem Nirgendwo auftauchte. Niemand kennt seine Vergan-genheit, er ist schweigsam, lebt zurückgezogen, wird argwöhnisch betrachtet. 

Für die Reparatur des Daches geht Nat einen "Tauschhandel" mit ihm ein, der sich schnell zu einer Obsession auswächst.

 

"Ist es Obsession? Ja, eindeutig ist es Obsession. Aber nicht nur das, sagt sie sich. Es ist Willenlosigkeit, eine Metamor-phose, eine radikale Veränderung ihrer Erwartungen. ...

Alle Ordnung ist auf den Kopf gestellt, vollkommen durcheinandergewirbelt."

 

Ab sofort geht sie jeden Abend vermeintlich ungesehen zu diesem Mann, der eine ungekannte Gier in ihr auslöst, zu dem sie aber ansonsten keinen Zugang findet. 

Sie fragt sich, "Geht es wirklich nur um Sex?", oder sucht sie nicht doch Anerkennung, Zuwendung, Bestätigung, sogar Dankbarkeit? Sie möchte gerne gebeten werden, über Nacht "dazubleiben - damit sie dann Nein sagen kann - ".

Nat verstrickt sich zunehmend in ein Geflecht aus Gier und Scham, aus Sehnsucht und Ablehnung. Und in ihr erwacht eine monströse, zerstörerische Eifersucht.

 

Aus ihrer Flucht in das Dorf La Escapa ist ein komplizierter Trip ins eigene Innere geworden, der Nat an ihre Grenzen bringt. 

 

"Seit sie Andreas kennengelernt hat, weicht ihr Leben immer mehr vom vorgesehenen Skript ab. Erbarmungslos zerlegt er ihre Vorurteile, gräbt er sich in ihre Unsicherheit hinein, trägt ihr Selbstvertrauen schaufelweise ab."

 

Als dann noch ihr Hund Sieso, ein misstrauisches Tier, das ihr vom Vermieter überlassen wurde, und das sie mit größter Mühe etwas an sich gewöhnt hatte, ein Nachbarskind verletzt, wird ihre Lage unerträglich. Man gibt ihr die Schuld an dem Unfall, gibt ihr zu verstehen, wie sie sich zu verhalten hat, um Vergebung zu erlangen.

 

"Er (der Nachbar, Vater des verletzten Mädchens) verfügt über die Macht der Opfer und eben deshalb womöglich als Einziger über das Privileg, für sie eintreten zu können. Um das zu erreichen, muss Nat jedoch für ihre Schuld büßen, etwas zum Ausgleich anbieten."

 

Sara Mesa lotet in diesem Roman, der weit weg von einer klassischen Liebesgeschichte ist, die Tiefen ihrer Protago-nistin aus. Wie in ihrem Vorgängerroman "Quasi", der von der Beziehung eines Mädchens zu einem seltsamen, älteren  Mann handelt, bewegt sie sich dabei in moralischen Grauzonen. Präzise erzählt die 1976 in Sevilla geborene Autorin von Verstrickungen und den Versuchen, sich daraus zu befreien. Ihre Heldinnen sind Figuren, die sich verirren,

in Konflikte mit der Gesellschaft geraten und straucheln.

Es gibt kein Schwarz-Weiß in Sara Mesas Romanen, sie beschreibt die Reibungen, die entstehen, wenn Menschen sich begegnen:

 

"Ein flüchtiger Gedanke schießt ihr durch den Kopf, zu schnell, um ihn zu greifen und zu verstehen. Irgendwas über Tauschhandlungen. Der Tausch als grundlegende soziale Interaktion. Warum nicht?, fragt sie sich. Darin liegt etwas Schönes, etwas Wesentliches und Menschliches."

Darin liegt auch etwas Schwieriges und Verstörendes.

 

Das Ende des gewaltigen Romans mit seinen ambivalenten Figuren, der in Spanien zum besten Buch des Jahres gekürt wurde, ist völlig unerwartet. Auch hier unterläuft Sara Mesa die Erwartungen ihrer LeserInnen, man kann nur staunen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sara Mesa: Eine Liebe

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Wagenbach Verlag, 2022, 192 Seiten

(Originalausgabe 2020)