Audre Lorde - Ein strahlendes Licht
Audre Lorde, eine Ikone der Frauen- und Bürgerrechtsbewegung, kam 1934 in Harlem zur Welt. Sie begann sehr spät zu sprechen, erst mit fünf, wie sie in dem autobiografischen Essay "Meine Worte werden da sein" schreibt. "Genau genommen nicht wirklich, bis ich anfing, Gedichte zu lesen und zu schreiben." Sie drückte sich mit und in der Lyrik aus, in erster Linie sah sie sich selbst immer als Dichterin. Aber auch als Lehrerin:
"Per Definition sind Schreibende immer auch Lehrende."
Der vorliegende Band versammelt sechs Texte von Audre Lorde, das Herzstück ist der Essay "Ein strahlendes Licht. Leben mit Krebs". Nebst dem Vorwort sind Gespräche mit und über die beeindruckende Frau beigefügt, alles in allem bietet dieses Buch eine sehr gute Einführung in das Werk und Leben der Dichterin, die von sich sagte: "Ich bin Schwarz, lesbisch, Feministin, Kriegerin, Dichterin, Mutter".
"Am 1. Februar, zwei Wochen vor meinem fünfzigsten Geburtstag, teilte meine Ärztin mir mit, dass ich Leberkrebs habe. Der Krebs, dem ich sechs Jahre zuvor eine Brust opfern musste, hatte Metastasen gebildet."
Sie entscheidet sich gegen eine schulmedizinische Behand-lung, nicht zuletzt wegen der Arroganz des Arztes. Denn eins war klar: ihre Selbstbestimmung würde sie sich nicht nehmen lassen. Audre Lorde nimmt den Kampf auf, wie sie ihr Leben lang gekämpft hat:
"Ich spüre dieselbe Dringlichkeit in mir, im Kampf gegen Rassismus, Heterosexismus und Apartheid wie im Kampf gegen den Krebs. Keiner dieser Kämpfe ist jemals einfach..."
Und: "Die Zerstörung, die mit der Apartheid in Südafrika einhergeht, und die rassistisch motivierten Morde in Howard Beach sind für mich genauso gravierend wie Krebs."
Durch sämtliche Essays zieht sich ein roter Faden:
Der Aufruf zur Solidarität unter Frauen, zum Brechen des Schweigens, auch über Körper- und Gesundheitsthemen.
Zur Anerkennung der Verschiedenartigkeit, d.h. auch der Homosexualität, die unter Schwarzen so verpönt war wie unter Weißen.
Zu erkennen, dass People of Colour auf der ganzen Welt unter den gleichen Mechanismen der Unterdrückung leiden und eine Veränderung nur durch gegenseitige Unterstützung erfolgen kann.
Der Aufruf zur erkennen, dass in keinem Fall das Private und das Politische zu trennen ist, denn niemand lebt in einem Vakuum, alle sind geprägt von der Gesellschaft und ihrer Erziehung.
Und: Schmerz sollte nicht in Wut, sondern in einen Veränderungswillen verwandelt werden, dazu gehört ein genaues Befragen des eigenen Denkens und Fühlens.
Die Dichterin, Bibliothekarin, Dozentin, Organisatorin und Vortragsreisende nimmt ihren Krebs zum Anlass, sich über ihre Ziele im Leben Klarheit zu verschaffen.
"Für mich bedeutet ein erfülltes Leben, den bestmöglichen Zugang zu meinen Erfahrungen und meiner Kraft zu haben, zu lieben und einer Arbeit nachzugehen, an die ich glaube. Es bedeutet, meine Gedichte zu schreiben, meine Geschichten zu erzählen und meine Stimme für meine dringlichsten Anliegen und gegen die vielen Formen der Lebensfeindlich-keit, die uns umgeben, zu erheben."
Für enorm viele Frauen wird Audre Lorde zu einem Vorbild und Ansporn, ihre Worte wirken. Die Krankheit hält sie nicht davon ab, Vorträge an den unterschiedlichsten Orten der Welt zu halten, Workshops zu besuchen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. So wenig wie all die anderen Wider-stände, gegen die sie ein Leben lang kämpfte.
Sie spricht und schreibt über die Apartheid in Südafrika und in den USA, über "Lesbische Elternschaft" (sie hatte zwei Kinder), über die Strukturen der Macht, auf denen Sadomasochismus gedeiht, sie spricht darüber, was "indigen" bedeutet. Sie ist schmerzhaft ehrlich, scheut keinen Konflikt, spricht im Namen der Aufklärung.
Die ergänzenden Gespräche des Essaybandes beleuchten sowohl die Arbeit als auch das Leben Audre Lordes.
So war sie der Motor für den Aufbau einer Schwarzen Community in Deutschland. Zwischen 1984 und ihrem Tod 1992 verbrachte sie jedes Jahr mehrere Monate in Berlin, u.a. als Gastprofessorin an der FU. Das Wort "Rassismus" wurde damals in Deutschland noch nicht einmal benutzt, es bestand "kein Interesse an Schwarzer Literatur", so Dagmar Schultz, Literaturwissenschaftlerin und enge Freundin Audre Lordes. Dank der Energie Lordes änderte sich dieses.
So schnell, dass ich Anfang der 1990er Jahre ein Seminar über Toni Morrison an der Uni Hannover besuchen konnte!
An diesem Band sind viele Frauen beteiligt. Weggefährtinnen, Übersetzerinnen, Aktivistinnen, Kämper-innen - Lordes Idee der Solidarität, des Empowerment durch gemeinsame Arbeit und Ziele, trägt Früchte.
Erschienen ist das vortrefflich edierte Buch im jungen
AKI-Verlag, der einmal im Jahr, im Herbst, fünf bis sechs Bücher veröffentlicht und dessen Augenmerk besonders auf einer "experimentellen, mutigen und eigenen Sprache" der Autorinnen ruht.
Der Verlag legt viel Wert auf die Gestaltung der Bücher, so entsteht für jedes Cover eigens ein Gemälde, für das sich eine Malerin oder Fotografin von dem Buch inspirieren ließ!
AKI heißt `Herbst´ auf Japanisch. Es bedeutet auch funkeln und leuchten - Audre Lordes Texte, so aktuell wie zur Zeit ihres Entstehens zwischen 1979 und 1988, tun genau dies.
Audre Lorde: Ein strahlendes Licht
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné, Marion Kraft, Mirjam Nuenning und Pasquale Virginie Rotter
Mit einem Vorwort von Alexis Pauline Gumbs und einem Nachwort von Cheryl Clarke
Coverfoto von Joan E. Biren oder JEB
AKI-Verlag, 2021, 244 Seiten
(Originaltexte 1979-2021)