Oren Lavie - Der Bär, der nicht da war
Der Bär, der vorher nicht da war, ist plötzlich da. Er steht staunend im Wald und fragt sich, ob er der Erste oder der Letzte ist und was besser wäre, denn er ist alleine.
So fängt die Geschichte des Bären an, der sich auf die Suche nach sich selbst macht. Dabei hilft ihm ein Zettel.
Diesen findet er in seiner Tasche (?) und auf ihm steht geschrieben: "Bist du ich?"
Er liest weiter: "1. Ich bin ein sehr netter Bär. 2. Ich bin ein glücklicher Bär. 3. Ausserdem sehr hübsch."
Der Bär freut sich über diese positiven Aussagen und macht sich auf den Weg in den Wald. Er will ein bisschen die Gegend erkunden und darüber nachdenken, ob das, was auf dem Zettel steht, auch stimmt.
Im Wald lernt er zuerst verschiedene Arten von Stille kennen, die der Blätter, des Bodens und der Bäume.
Am schwersten zu finden ist die eigene Stille, bemerkt er.
Da sieht er plötzlich eine Gestalt, sogar zwei, sie stellen sich ihm vor: das Bequeme Bergrind und der Saumselige Salamander (der äußerst lässig auf dem bequemen Rind ruht). Sie kennen den Bären bereits - dass sie nicht nur Freunde, sondern sogar alte Freunde sind, freut den Bär besonders. Und als er hört, er sei der netteste Bär, den das Bequeme Bergrind jemals kennen gelernt hat, errötet er dann doch ein bisschen.Woher sie sich kennen überlegt er nicht weiter, denn er ist zu glücklich, Punkt 1 auf seinem Zettel abhaken zu können (mit einem Bleistift, den er zufällig hinter seinem Ohr findet) und weiterzuziehen. Schließlich muss er herausfinden, "ob ich wirklich ich bin."
Pfeifend zieht er weiter, lernt den Vorletzten Vorzeige-Pinguin kennen, der unheimlich gerne zählt und über so viel nachdenkt, dass für die anderen nichts mehr zum denken übrig bleibt - da schnuppert der Bär eben an einer Blume.
Das macht ihn wiederum so glücklich, dass er "Ich bin ein glücklicher Bär" notieren kann.
Unversehens läuft er dann auf den Kompass-Baum zu.
Acht Richtungen zeigt dieser an, für welche entscheidet sich der Bär? Schwierig, bei so vielen Möglichkeiten. Da kommt ihm das Träge Schildkröten-Taxi zur Hilfe. Die freundliche, langsame, mit kräftigem Rücken ausgestattete Schildkröte
trägt ihn durch den Wald.
"Als etwas Zeit vergangen war, fragte der Bär: "Haben wir uns verirrt?" "Ja, das haben wir", nickte die Schildkröte, "das gehört alles zu geradeaus." "Verstehe", sagte der Bär.
Und irgendwann später fragte der Bär: "Haben wir uns immer noch verirrt?" "Absolut", erwiderte die Schildkröte. "Wie schön", sagte der Bär."
Offensichtlich genießt er die Fahrt. Mitten im Irgendwo setzt das Schildkröten-Taxi seinen Passagier ab. Der Bär steht vor einem schönen Haus mit einem überraschenden Türschild: "HIER WOHNT DER BÄR, DER NICHT DA WAR".
Stimmt - bis gerade eben war er nicht da.
Vorsichtig geht er hinein, sehr schön ist das Haus auch innen. Und es hat einen großen Spiegel, in dem kann der Bär sehen, dass er sehr hübsch ist - "Schön, mich kennen zu lernen", sagt er ... "Ich hatte doch gleich das Gefühl, dass ich ich bin,...ich fühlte mich vertraut."
Dieser sympathische Bär ist völlig unvoreingenommen, immer bereit, sich zu freuen, er nimmt gerne die Hilfe seiner Mit-Waldbewohner an. Ganz kindlich-naiv macht er sich auf die Suche, und weil er so nett und hübsch ist (er sieht aus wie alle Bären, groß und ein wenig unbeholfen) begegnen die anderen ihm mit Freundlichkeit.
Er sammelt Eindrücke, Farben, Gerüche - und Wörter.
Immerhin ist er ein Bär, der schreiben kann.
Wunderbar übersetzt wurde die Geschichte von Harry Rowohlt, illustriert von Wolf Erlbruch. Er hat nicht nur den Wald, die Tiere und Blumen anschaulich gestaltet, sondern auch die Stimmung des Bären, der ganz klein neben dem großen Kompass steht und ganz farbenfroh tanzt, als er die Schönheit der Blumen entdeckt.
Immer hat er einen sehr roten Mund - lebenshungrig freut er sich auf alles, was ihm noch begegnen wird.
Die philosophische, phantasievolle und kindgerechte Bärengeschichte erfreut Bücherliebhaber und Wortakrobaten ab fünf Jahren - Vorleser wie Zuhörer und Zuschauer.
Außerdem bietet sie viel Gesprächsstoff für "danach".
Oren Lavie: Der Bär, der nicht da war
Übersetzt von Harry Rowohlt, Illustriert von Wolf Erlbruch
Kunstmann Verlag, 2014, 48 Seiten
(Originalausgabe 2014)