Christine Langer - Ein Vogelruf trägt Fensterlicht
Gedichte
Was für eine Freude, den neuen Gedichtband Christine Langers - es ist bereits der fünfte - zu lesen!
Sie begibt sich mit Leib und Seele in die Natur, das lyrische Ich wird ganz Wahrnehmung und mehr als das.
Die Idee der Anverwandlung erweitert die Dichterin um die der Hinein-verwandlung, in Bäume, Wolken, Licht, Wasser, Wurzeln, Felder.
Sie hat ihre Gedichte in fünf Räume aufgeteilt, diese treten in Beziehung zueinander, korrespondieren, rufen sich zu.
In die Betrachtung der Naturphänomene flicht sie ihre Überlegungen zu Sprache, Schreiben und Poesie.
Gleich das erste Gedicht lautet:
BÄUME
Die Baumlandschaft, Land in den Bäumen,
Die zum Baum gewachsene Sprache, die laub-
Rauschenden Silben ins Licht gerückter
Blattrücken an den Zweigen
Zwiegespräche dazwischen, Schattengestrüpp,
In den gegabelten Ästen hängen meine gegangenen Wege,
Erdachte Himmelsrichtungen, Ziele von Wind zu Wind,
Und die Wolken, das Gewölk in den Kronen
In diesem Auftakt ist angelegt, was Christine Langer wunderbar fein und feinfühlig auffächert: die Spiegelungen von Himmel und Erde, das in-eins-Denken von Baum, Laub, Sprache und Silben, das Gespräch zwischen Natur und lyrischem Ich, die außerhalb des Ich aufbewahrten Erinnerungen, das Zusammendenken von Phantasie und Realität.
Zu den Bäumen gesellt sich in vielen Gedichten das Gras, zum Schatten das Licht, in einigen Texten sind Spiegel die Träger eines Gedankens.
Und natürlich die Vögel, jene Wesen, die zwischen den Sphären pendeln, diese verbinden und seit jeher Boten sind.
Krähen, Amseln, Stare, Möwen, "Einmal Bussard sein und leichter als Luft..." ist ein geäußerter Wunsch, "Ein Vogelruf trägt flutendes Fensterlicht / Durch die offene Tür, verwurzelt mich" ist das, was geschehen kann, wenn die Natur nicht mehr als Gegenüber, sondern als Gefährte, Mitspieler, Kamerad gesehen wird.
Die Dichterin lässt ihr Nachdenken über das Schreiben mit in ihre Gedichte einfließen, ihre Vorstellungen von Zeit, den Prozess den Denkens - "Das Denken ist ein Graben und Druntergehen", immer wieder kehrt sie Strukturen um:
"Der Morgen öffnet deinen jüngsten Brief".
Sie liebt die fließende Melodie, die Harmonien innerhalb der Zeilen, Worte, Silben.
Man lese folgendes Gedicht bitte laut:
INS GRAS SCHREIBEN
Glaubst du, daß der Mond sinkt
Und taucht hinter die Bäume, das Licht austauscht -
Die vielen Leben des Laubs teilen Stimmen,
Die schwere Schleier begleiten -
Ich wollte die Wolkenlieder einmal so gerne halten
Und las sie auf im wehenden Gras, weshalb mir
Die Schatten sehr nahe sind und beim Durch-
Schreiten neue Schatten in die Schatten wachsen.
Dies Schreiben, ein Fortleben vergangenen
Grüns, wachsende Langsamkeit. Atemzug
Für Atemzug zu Papier gebracht:
Sehen durch luftiges Gras
Die zarten Sch-Laute, Doppelvokale, Wiederholungen, Alliterationen - Christine Langers Gedichte klingen.
Tritt im Genre des Nature Writing der Mensch als empfindendes und beschreibendes Subjekt auf, versucht Langer, die Dichotomie zwischen Subjekt und Objekt aufzuheben. Das Ich erfährt sich in den Dingen, es steht ihnen nicht gegenüber. Wie in dem Gedicht
IN RAPS DENKEN, EINMAL SO
Wie ihn der Himmel wiegt,
Einer schleichenden Katze folgend.
Für einen Augenblick
Leih ich mir die Augen der Katze,
Bin ich das Rascheln
Im gelben Horizont, unsichtbar
Die Gedichte sind bildhaft und sinnlich, auch hoffnungsvoll:
Gräser von morgen verborgen im Schnee,
Die eigene Stimme unterm gefrorenen See
Mit diesem Zitat möchte ich enden, fast, es sei noch auf das schöne Nachwort von Mirko Bonné hingewiesen, der von den Gedichten ebenso begeistert zu sein scheint wie ich!
Christine Langer: Ein Vogelruf trägt Fensterlicht, Gedichte
Mit einem Nachwort von Mirko Bonné
Kröner Verlag, Edition Klöpfer, 2022, 106 Seiten