Maria Kuncewiczowa - Zwei Monde
"Mena sagte: - Der Mond war rot, als diese Menschen schlafen gingen ... Jetzt ist er weiß. Ganz anders. Ob diese wissen, wie ein weißer Mond aussieht? Jeremi antwortete: - Vielleicht sind es überhaupt zwei Monde ... Einer für die da, und der andere - nur für uns."
Von Gegensätzen und Unterschieden, von Einheimischen und Sommerfrisch-lern, von (jüdischen) Arbeitern und (christlichen) Bohemiens, aber auch von frisch oder ehemals verliebten Paaren, handelt dieser Roman, der dem Städtchen Kazimierz Dolny, in Ostpolen an der Weichsel gelegen, ein Denkmal setzt.
Der Roman, der aus zwanzig Kurzgeschichten besteht, in denen immer wieder die gleichen Personen, Orte und Themen auftauchen, erschien 1933. Er reflektiert eine Welt, die kurz darauf für immer unterging.
Maria Kuncewiczowa (1895-1989) entdeckte das Städtchen 1927 und war sofort fasziniert, noch im selben Jahr kaufte sie zusammen mit ihrem Mann ein kleines Haus dort.
1939 musste das Ehepaar Polen verlassen, erst dreißig Jahre später kehrte es nach Aufenthalten in England und den USA zurück. Bis zu ihrem Tod lebte die Schriftstellerin, die auch Gesang studiert hatte, in ihrem Haus in Kazimierz Dolny.
Sie hat sich selbst ganz vorsichtig hineingeschrieben in ihren Roman, zumindest finden sich Anklänge an die eigene Bio-grafie in der Figur der Marta, einer Sängerin, die eines Tages in ein sehr renovierungsbedürftiges Haus einzieht und mit dem Meister Sowa und seinen Arbeitern sogleich die Mentalität des Ortes kennenlernt. Von den Nachbarn werden sie als "Sommerfrischler aus Warschau" bezeichnet, die jetzt alles neu herrichten, "denn sie haben Knete."
An Knete mangelt es den Einheimischen sehr.
Da ist der Eisenwarenhändler Mistig, der kaum etwas ver-kauft, aber so mutig ist, "Frau Barbara" zu lieben. Sie ist eine "große Dame", "das is das Weib des größten Ministers!!!" Es heißt, eine günstige Gelegenheit abzuwarten, um sich ihr zu nähern. Nicht etwa, um ihr Herz zu gewinnen, sondern, um die Konzession für die Lotterie zu erlangen, diese verspricht eine gute Geldquelle zu sein. Er denkt:
"Er steht hier, dieser arme Jid, und sie steht dort, diese große Frau. Und sie fragt sich: Nu, was bedeutet das für mich, ihm zu geben eine Konzessie für Lose? Er hat einen besseren Verstand, als man es für Töpfe braucht: Er hat verstanden
die Grimasse, und er hat verstanden die Ehre. Also, dann bekomme er diesen Verdienst! Nu, soll er es haben, dieses - Glück!!!"
Das Zusammenleben der Katholiken mit den Juden ist ein Thema dieses Romans. Maria Kuncewiczowa übernimmt
den Duktus des Jiddischen, kennzeichnet auch damit einen Unterschied zwischen den verschiedenen Bevölkerungs-gruppen.
Die Juden gehören alle der unteren Schicht an. Sie sind Tagelöhner, Kätner, Träger oder Fährmänner. Sie kämpfen täglich ums Überleben, sie sind diejenigen, die mit Einbruch der Dunkelheit, beschienen von einem roten Mond, zu Bett gehen.
Die anderen, die Urlauber und Künstler, werden am Abend erst wach. Über ihnen scheint ein anderer Mond, der zum Symbol für die zwei Welten wird, die sich in Kazimierz Dolny treffen.
Vor allem Maler schätzten die kleine Stadt. Sie besaß schöne Renaissance- und Barockgebäude, lag, von Hügeln umgeben, direkt an der Weichsel.
An deren Strand tummeln sich die Urlauber, geben sich frei-zügig der Sonne hin, eine Sandinsel wird schließlich so beliebt, dass ein Polizist notwendig wird, um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Diese Aufgabe fällt dem braven Polizisten Kubik zu, der nach dem Anblick von Menas blankem Busen aus dem Takt gerät. Nachts fährt er zurück zur Insel, um noch einmal dieser Frau zu begegnen:
"Er wusste, dass in dieser schläfrigen Zeit sie gehen, fahren, keuchen - schamlos und ausdauernd. Dass sie mit ihrem Gelächter und ihrem Weinen die Luft stören; dass sie die Vorschriften verletzen und an keine Grenzen glauben. Dass ihre Frauen im Wasser plantschen und auch in der Liebe - eigenmächtig wie die Fische. Misstrauisch berührte Kubik den Boden: Die Insel schien zu erbeben, aus ihrem Bett im Fluss gerissen ... Sie schien irgendwohin zu streben ... Kubik erstarrte: Ob es auch ihn schon forttrug?"
Maria Kuncewiczowa gehört zu den Schriftstellerinnen, die sehr früh psychologische, soziologische und feministische Aspekte in ihren Romanen behandelten.
Die Gegensätze, die sie in "Zwei Monde" zur Grundlage
ihrer Geschichten macht, dienen der Ausmalung des Lokalkolorits und zeigen die unterschiedlichen Möglich-keiten aufgrund des Geschlechts, der sozialen Stellung und der Religion auf.
Sie zeigt aber auch, dass in dieser kleinen Welt des alten Städtchens jeder seinen Platz findet: der blinde Michal, der dem Maler Jeremi die Augen öffnet, die Bettlerin Agate, an deren Sarg sich Christen und Juden vereinen, die alte Malwina, deren Garten einem Zauberreich gleicht.
Überhaupt die Natur: sie ist allgegenwärtig, ist nicht nur Staffage, sie wird lebendig wie all die Figuren in diesen Geschichten.
Auch sie wird je nach Blickwinkel völlig verschieden gesehen.
Während für die Schneiderin Walentyna der Fluss eine dreckige Gosse ist, sieht ihr Neffe, der Maler Pawel, darin ein funkelndes Band, aus dem die junge Rachel mit einem Becher "die Sonne schöpft". Dass er sie dabei malt, sorgt für gehörigen Wirbel in der Stadt...
Wie die Natur, so spiegelt die Stadt Kazimierz Dolny die Menschen mit ihren Stimmungen und Besonderheiten. Die poetischen Beschreibungen lassen sie lebendig werden, ohne dabei eine Idylle, die es nicht gab, zu erschaffen. Zu klar ist Maria Kuncewiczowas Blick auf die Realität, die aus zwei Welten besteht.
Peter Oliver Loew hat den so leichten wie tiefgründigen Roman in ein fließendes Deutsch übertragen, die sprachli-chen Eigenheiten des Jiddischen zum Glück beibehalten.
Und Anna Artwinska, Professorin für Slawistik, verfasste ein informatives Nachwort, das die Dichterin und ihr Werk einordnet und erhellt und die gelungene Erstübersetzung der "Zwei Monde" abrundet.
Maria Kuncewiczowa: Zwei Monde
Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew
Nachwort von Anna Artwinska
Guggolz Verlag, 2023, 249 Seiten
(Originalausgabe 1933)