Helmut Jasbar - Vierundzwanzigster Dezember
Heilig Abend ist der wohl aufgela-denste Tag des ganzen Jahres. Die Erwartungen an diesen Tag sind groß, die Enttäuschungen eben-falls. Helmut Jasbar entwirft in seinem Kurzroman einen Reigen an Menschen, die allesamt nicht in Verhältnissen leben, die einen gemütlichen Abend im Kreis der Lieben erwarten lassen. Sie alle sind unterwegs in der Stadt, wie auch gedanklich in ihrem Leben.
Ein jedes der kurzen Kapitel, die Bildausschnitten gleichen, widmen sich einer anderen Figur.
Den Auftakt macht Dr. Fiedler, der vor gut drei Jahren seine Frau Maria verloren hat und nicht über ihren Tod hinweg kommt. Dass er überhaupt wieder ein zumindest nach außen normales Leben führen kann, hat er seinem Freund und Kanzleipartner Otto Moretti zu verdanken. Er brachte ihn in eine psychiatrische Klinik. Wichtiger als die Behandlung ist jedoch ein Buch, das der Zufall in seine Hände legt:
"Eines Tages stand er in einer Buchhandlung in Währing und blätterte zerstreut in einem schmalen Bändchen in engli-scher Sprache. The Waste Land. Fiedlers Unruhe kam augenblicklich zum Stillstand."
Ganz am Ende sitzt Fiedler, den alle nur beim Nachnamen nennen, in einem Bus, den zufällig Hasan steuert. Diesen Jungen hatten Fiedler und Maria auf seinem schwierigen Lebensweg unterstützt, ohne Maria, so Hasan, hätte er es gar nicht geschafft. Immer wieder schärfte sie ihm ein:
"Es ist nichts falsch an dir" und sie bringt ihm bei, dass unbeachtete Gefühle zu Gespenstern werden, die einen nicht in Ruhe lassen. Diese Worte erscheinen Fiedler wie eine Offenbarung, wie eine letzte Botschaft Marias an ihn.
Und so steigt er an der Endstation nicht aus, Hasan und Fiedler fahren einfach "weiter in die Nacht hinein" und erfreuen sich am Zusammensein.
Mit an Bord sind eine Taxifahrerin, die die Leser:innen bereits aus diversen Kapiteln kennen. Sie pflegt einen sehr eigenwilligen Fahrstil, was daran liegt, dass sie mehr am Gespräch mit ihren Gästen interessiert ist, ihre Gedanken unverblümt äußert, sich manchmal verhört und vielleicht auch daran, dass sie keinen Führerschein hat.
Sie ist in ein Gespräch mit Herbert vertieft, der eigentlich Herkima heißt, und dem "die Liebe abhandengekommen" ist.
"Noch vor sieben Tagen war er in ständiger Begleitung von Arthur gewesen. Arthur und Herbert waren beste Freunde, im ganzen Viertel bekannt; ein hochgewachsener Blinder und sein kleiner Blindenführer. `Artbert ist wieder unterwegs´, sagte man. Beim Gehen ruhte Arthurs linke Hand auf Herberts rechter Schulter ... Jetzt war nur noch ein halbes Leben übrig. bert. Und erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass Arthur vielleicht ihn gestützt hatte und nicht umgekehrt."
Jede und jeder in diesem Roman hat einen schweren Verlust zu betrauern. In manchen Fällen fühlen stellen sich Schuld-gefühle ein, mit ihnen zurande zu kommen, ist eine Lebens-aufgabe.
Es mangelt auch nicht an dramatischen Szenen. Das kann ein überreagierender Wachmann oder eine verschluckte Gräte sein, nur in einem Fall geht es sehr traurig aus. Das ist der einer jungen Frau, die den Preis für den überbordenden Ehrgeiz eines jungen Anwalts zahlt. Er ist ein Angestellter in der Kanzlei Fiedlers und Morettis, Ex-Mann von Fiedlers Sekretärin Margarethe, die ebenfalls eine Rolle in diesem bedeutsamen Tag spielt.
Einige weitere Charaktere erweitern den Kreis und man kann nur staunen, wie groß die Vielfalt ist, die Helmut Jasbar in diesem kurzen Roman, der mit großer Empathie erzählt wird, ausbreitet.
Er legt ein Geflecht an Verbindungen und Begegnungen, die kurz und flüchtig sein können oder von festen Bindungen erzählen, aus. Er nimmt Geschehnisse oder auch Gedanken wieder auf, nachdem er von anderen Figuren berichtet hat, und dieses `Dazwischen´ lässt seine Helden nochmal ein einem anderen Licht leuchten.
In der Nacht auf den fünfundzwanzigsten Dezember verwandelt ein Blitzeis die Stadt, "als wollte es diesen Weihnachtsabend schockfrieren in alle Ewigkeit."
Die Bewegungen kommen zu einem Ende. Und vielleicht finden die Figuren des Romans, die alle viel unterwegs waren an diesem Tag, nun Ruhe und begeben sich in den "Feiertags-schlaf".
Helmut Jasbar: Vierundzwanzigster Dezember
Müry Salzmann Verlag, 2024, 112 Seiten