Andrea Hahn - Goethe in Schwaben -
Wer braucht da noch Italien?
Zwei Mal reiste Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) durch Schwaben.
Nicht explizit nach Schwaben, er hielt sich hier einige Tage auf, einmal aus der Schweiz kommend, das andere Mal, als er sich auf dem Weg in die Schweiz befand. Doch es war nie Goethes Art, einfach irgendwo durchzupreschen, um schnell ans Ziel zu kommen, er reiste, um zu sehen, zu lernen, Kontakte zu knüpfen.
Die erste Reise fand im Jahr 1779 statt. Rund drei Jahre zuvor war er in den Weimarer Staatsdienst getreten. Nun befand er sich mit Herzog Carl August auf Erkundungstour. Die beiden Herren, die im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach durch pubertäres Verhalten auffielen und sich häufig sehr unartig betrugen, "wussten sich (aber) sehr wohl zu benehmen, wenn sie an einem fremden Hof, in einem fremden Land zu Gast waren. Die Stuttgarter Gesellschaft wird aufgeatmet haben."
Das Protokoll war an höfischen Besuchen ausgerichtet, nur wenige Male unterbrochen von Ausflügen in die bürgerliche Welt.
Andrea Hahn charakterisiert pointiert die Zustände des damaligen Württemberg, regiert von Karl Eugen nach absolutistischer Art. Er wandelte sich im Lauf seines Lebens zu einem "aufgeklärten Landesherrn", der als "wohltätiger Vater seines Volkes" gesehen werden wollte.
Eine seiner guten Taten war die Einrichtung der Hohen Karlsschule, auch Militärakademie genannt, die eine große Zahl an berühmten Menschen hervorbrachte. Unter ihnen Friedrich Schiller, der dort Medizin studiert hatte. Diese Schule war ein Gegengewicht zum Theologischen Institut in Tübingen, das altehrwürdig und sehr konservativ war.
Goethes Besuche von Personen oder Institutionen geben der Autorin Anlass, einen Blick in die Geistes- und Sozial-geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu werfen.
So auch im zweiten Teil des Buches, das die Reise, die Goethe im Jahr 1797 alleine unternahm, ins Licht rückt.
Auf dieser zweiten Reise war er frei, musste keinem Hof-protokoll folgen, konnte die Menschen treffen, die die gleichen Interessen verfolgten wie er selbst.
Als "Türöffner" erwiesen sich die Empfehlungsschreiben Friedrich Schillers, mit dem Goethe seit Mitte 1994 eng befreundet war. Der Schwabe Schiller war nicht zuletzt wegen Goethe nach Weimar gezogen, wo sich über Jahre hinweg ein Musenhof entwickelt hatte, der weit über die Grenzen des kleinen Landes ausstrahlte.
In Stuttgart hatte Goethe die Möglichkeit, vortreffliche Kunst zu betrachten und ebensolchen Männern zu begegnen.
Viele Namen fallen, unter ihnen Johann Friedrich Cotta, der Verleger der Deutschen Klassik, oder Antonio Isopi, ein Architekt, den Goethe für kurze Zeit nach Weimar locken konnte und der am Bau des Residenzschlosses mitwirkte. Er begegnete dem Bildhauer Dannecker, von dem die berühmte Schillerbüste stammt, er weilte im Hause des Kaufmanns Rapp, einem Kunstkenner und Sammler. Hier trug Goethe eines abends aus seinem unveröffentlichten Epos Hermann und Dorothea vor - ein Zeichen, dass er sich sehr wohl fühlte und sich öffnete.
Goethe interessierte sich fast für alles und er hielt stets Ausschau nach Verbesserungen. Ob Landwirtschaft oder Wegebau, Theater, Oper und Ballett, Architektur und Garten-kunst, Malerei, Dichtung, das Sozialwesen - es gab nichts, an dem Goethe achtlos vorbei ging.
All diese und weitere Themen kommen in diesem kleinen, feinen Buch zur Sprache, denn Andrea Hahn, Mitheraus-geberin der "Münchner Goetheausgabe", kennt die Lebens-wege und das Denken Goethes sehr genau.
In seinen Werken, aber auch in jenen seiner Zeitgenossen, vor allem in Briefen, sucht sie nach den Spuren, die Goethes Reisen durch das Schwabenland hinterlassen haben.
So finden sich in dem Buch mit dem provokanten Untertitel die Nachwirkungen von Goethes Italienischer Reise, die Wirkung der Freundschaft zu Schiller, eingeordnet in einen größeren literarischen Kontext. Es findet sich ein Blick auf die Entwicklungen des Bürgertums, der Wissenschaft, der Städte. Die Auswirkungen von Kriegen werden nicht außen vor gelassen, auch nicht, was für ein Segen eine gute und offene Universität für ein Land ist.
Goethe erlebte in Schwaben Tage, die ihn an Rom erinnerten. Gesellig, umgeben von Kunst und reicher Natur in mildem Klima. Er resümierte, er habe hier "Tage (erlebt), wie ich sie in Rom lebte". Vielleicht dachte er dabei auch an den Abend im Rapp´schen Haus:
"Die Lesung im Rapp´schen Haus vereint wie in einem Brennglas, was Stuttgart für Goethe bei seinem Aufenthalt war. In einem Kreis von angesehenen und gebildeten Bürgern und Künstlern fand er das, was er so dringend brauchte: Menschen, mit denen er sich austauschen konnte und die ihn inspirierten, eine freundschaftliche Atmosphäre, in der er sich öffnen konnte und sich nicht in die Rolle des steifen Staatsmannes oder distanzierten Dichterkönigs gezwängt sah."
Andrea Hahn zeigt in ihrem Buch mehr den Privatier als den offiziellen Reisenden, sie bettet Goethes Reisen aber gekonnt in den geschichtlichen Rahmen ein. So ist das bestens recherchierte Buch auch eine schöne Einführung in das `Thema´ Goethe. Man begegnet dem vielseitig begabten Mann auf einem geografisch begrenzten, kleinen Terrain, erlebt jedoch seine geistige Weite.
Andrea Hahn: Goethe in Schwaben - Wer braucht da noch Italien?
8 grad verlag, 2023, 168 Seiten mit Abbildungen