Andrea Grosso Ciponte (Illustration) & Dacia Palmerino (Textadaption): Der Untergang des Hauses Usher
Graphic Novel nach Edgar Allan Poes gleichnamiger Kurzgeschichte aus dem Jahr 1839
Schon das Cover dieser Graphic Novel erinnert stark an ein Filmplakat.
Die Kurzgeschichte Edgar Allan Poes, die von Dacia Palermino adaptiert und von Andrea Grosso Ciponte sehr modern in Szene gesetzt wurde, gleicht ebenfalls einem Filmstreifen.
Er hat für die graphische Umsetzung zum ersten Mal mit einer KI-gestützten Software auf dem Tablet gezeichnet. "Ich sah das Potential insbesondere in der Unvollkommenheit des Tools und wollte es einsetzen, um die visuellen Paradoxien zu nutzen, die meiner Meinung nach gut zu Poes visionärem Stil passen", so der Künstler in einem Interview.
Die Bilder sind teilweise überscharf, teilweise wie mit einem Nebelschleier überzogen. Sie sind in schwarz-weiß gehalten, das entweder ins Grünliche changiert oder in ein eiskaltes Blau. Die Tiefenschärfe ist extrem, die Räume dadurch riesig.
Doch zunächst die Geschichte.
Ein namenloser Ich-Erzähler erhält einen verzweifelten Brief eines Freundes aus vergangenen Tagen. Er beschließt, ihn aufzusuchen und reitet zu dessen Anwesen, einem uralten, an einem See gelegenen Herrenhaus. Der Erzähler ist entsetzt, in welchem Zustand sein Freund Roderick Usher sich befindet:
"Die gespenstische Blässe der Haut und das übernatürliche Strahlen des Auges bestürzten mich mehr als alles andere".
Roderick leidet an einer Überspanntheit der Nerven, einer Krankheit der Familie, deren letzter männlicher Spross er ist. Ganz kurz taucht Rodericks sehr kranke Schwester Lady Madeline auf, die während der Anwesenheit des Erzählers stirbt. Die beiden Männer bringen den Sarg in die Gruft im Keller des Hauses, durch das sich "dunkle, gewundene Gänge ... winden, ... gleich Adern durch das Gehirn".
Nach sieben oder acht Tagen, in denen auch die Nerven des Besuchers zum Zerreißen angespannt sind, in denen er unter höllischen Albträumen leidet und Roderick immer seltsamer wird, steht plötzlich eine blutüberströmte Lady Madeline im Raum. Sie hat sich aus dem Sarg befreit, in den sie lebendig gelegt worden war - von ihrem Bruder.
Auf diesen wirft sie sich mit letzter Kraft, er erleidet einen Schock, sie sterben gemeinsam.
Der Erzähler flieht, hinter ihm zerbricht und versinkt das Haus und damit die Dynastie Usher im See, "mit gewaltig schmetterndem, furchtbar dröhnendem Getöse."
Die absolut unheimliche Atmosphäre der Geschichte Poes fängt Andrea Grosso Ciponte meisterhaft ein.
Schon die Vignette auf dem Vorsatzblatt weist den Weg: der Erzähler betritt über eine gewundene Treppe einen Raum, der einem Gehirn gleicht. Der Weg geht nach Innen, ins Ich, wie in das kerkerhafte Haus, durch das sich ein Riss zieht, an dem es am Ende auseinanderbrechen wird.
Im See, der angeblich die verschluckt, die zu lange auf ihn starren, sind zwei Babys mit schwarzen, hohlen Augen zu sehen, außerdem eine Frau, von der auf dem letzten Bild nur noch ihr weißes Kleid übrig ist, das auf dem Wasser treibt und das Pferd des Ankommenden fliehen lässt.
Die inzestuöse Beziehung der beiden Geschwister wird durch Doppelporträts, die sich durch das ganze Buch ziehen, angedeutet. Mehr als eine Andeutung sind die Ratten, die über den Erzähler huschen und seine Albträume symbolisieren. Die wiederauferstandene Lady Madeleine gleicht "einer irr gewordenen Furie", Blitze dringen schließlich ins Haus, in dem am Ende die Lady wie eine zerbrochene Puppe mit verbogenen Beinen am Boden sitzt.
Großen Raum überlässt der Künstler den Texten.
Roderick rezitiert das Gedicht aus Poes Geschichte, das mit den Worten "In der Täler grünstem Tale hat, von Engeln einst bewohnt, gleich des Himmels Kathedrale, golddurchstrahlt ein Schloss gethront" beginnt. Die folgende Doppelseite zeigt Gemälde im mittelalterlichen italienischen Stil, farbig, hell, blumig. Die nächste Seite, die mit den Worten "Doch Dämonen, schwarze Sorgen, stürzten roh des Königs Thron" beginnt, kippt in eine Welt nach der Art von Hieronymus Bosch.
Um die Stimmung zu verbessern, liest der Erzähler seinem Freund aus "Mad Trist" vor. Hier tötet der Held Ethelred einen Drachen. Doch was als Aufheiterung gedacht war, verstärkt das Grauen, indem sich die Geschichte mit der Realität des Erzählers vereinigt und das Grauen ins Uner-messliche steigert.
Hier werden die Bilder extrem, sie fangen ganz konzentriert die Qual ein, die sich vollends Bahn bricht.
Die letzte Seite zeigt den Erzähler auf der Flucht.
Er kniet am See, sein Spiegelbild zeigt den jungen Roderick Usher mit menschlichem Antlitz, die Maske ist abgefallen.
Die Kurzgeschichte, die von Urängsten, dem Kampf gegen mächtige Triebe und der Schwäche des Menschen erzählt, ist eine der wichtigsten Erzählungen der Literatur überhaupt.
Der Künstler Andrea Grosso Ciponte, geb. 1977, hat sie in eine moderne, zeitgemäße Form gegossen, die einen mächtig das Fürchten lehrt!
Andrea Grosso Ciponte (Illustration) &
Dacia Palmerino (Textadaption):
Der Untergang des Hauses Usher
Graphic Novel nach Edgar Allan Poes gleichnamiger Kurzgeschichte aus dem Jahr 1839
Aus dem Italienischen von Myriam Alfano
edition faust in der Reihe "Dust Novels", 2023, 64 Seiten,
Hardcover, Vierfarbig
Dieser Band ist der achte des Autorenduos, alle erschienen in der Reihe "Graphic Novels" der edition faust