David Grossman - Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Grossman, Jahrgang 1954, studierte Philosophie und Theater in Jerusalem, wo er heute noch lebt. Er arbeitete lange beim Rundfunk und wurde auch Dank seiner politischen Aktivität bekannt: unermüdlich setzt er sich für Frieden in Israel bzw im Nahen Osten ein.

 

Ich entdeckte diesen Schriftsteller erst, als er im Jahre 2010 den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ bekam. Natürlich war mir der Name geläufig, ich kannte das fantastische Jugendbuch „Wohin du mich führst“, aber ich hatte keinen seiner Romane oder Essays gelesen.

 

Doch nun war ich neugierig geworden und las „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ (2009 im Hanser Verlag). Ich war unglaublich beeindruckt.

 

In diesem Roman gibt es drei Hauptpersonen: Ora und die beiden Männer Ilan und Avram. Die drei lernten sich auf einer Krankenstation während des Sechstagekrieges 1967 als junge Leute kennen. Von hier aus zieht sich die Geschichte über mehrere Kriege bis in die Jetztzeit, sie wird im Rückblick hauptsächlich von Ora erzählt.

 

Diese lebte sowohl mit Ilan als auch mit Avram zusammen.

Am Beginn des Romans hat Ilan sich gerade von ihr getrennt, zusammen mit dem älteren Sohn Adam hat er sie verlassen. Der jüngere Sohn Ofer, 20 Jahre alt, beendet gerade seinen Wehrdienst. Ora will aufatmen, dass Ofer dieses nun überstanden hat, da sagt er ihr, dass er sich freiwillig für einen Einsatz im Westjordanland gemeldet hat.

Ora schafft es kaum, ihn zu einer Sammelstelle zu bringen, sie ist erfüllt von Angst und glaubt, wenn sie zu Hause sitzt, wird sie bald eine schlimme Nachricht erhalten.

 

So macht sie sich zusammen mit Avram, dem Vater Ofers,

auf nach Galiläa, die beiden wandern durch dieses biblische Land. Und sind damit nicht erreichbar, zumindest für eine gewisse Zeit.

 

Die Wanderung führt sie vorbei an Denkmälern und Zeichen aus vergangenen Kriegen, die sich durch das Leben der Protagonisten ziehen. Militäreinsätze, Verletzungen, Trennungen, die tägliche Bedrohung und Angst, die Zerrissenheit des Landes und der Menschen sind die Erinnerungen, die auf dieser Wanderung thematisiert werden.

Denn Politik und individuelles Leben sind in Israel absolut untrennbar miteinander verbunden, dies wird auf jeder Seite des Buches überdeutlich.

Im Verlauf der Geschichte lernt der Leser das Land kennen, wie Avram erst seinen Sohn kennen lernt, denn Ofer lebte immer bei Ora und Ilan.

 

Die Entdeckungsreise in die Vergangenheit ist für Ora und Avram sehr schmerzhaft, manchmal sprechen sie nur noch ein Teilsätzen, flüstern ein „hm“ oder ein „sprich weiter“, wenn der andere kaum mehr kann. Sie begegnen einander nach langer Zeit wieder und öffnen vielen tief vergrabenen Erinnerungen jetzt erst den Weg ins Licht.

Ein jeder versucht, sein Leben zusammenzufügen und indem sie über Ofer sprechen, versuchen sie ihn zu beschützen, ihn am Leben zu erhalten, die grausame Nachricht, die schon zu viele Eltern erhalten haben, von sich fern zu halten.

 

 

Noch während Grossman an diesem Buch schrieb, wurde sein Sohn Uri, wie Ofer 20 Jahre alt, durch eine Rakete der Hisbollah getötet. Er starb mit drei anderen jungen Männern bei einem Panzereinsatz.

Dieses Ereignis führte nicht dazu, dass Grossman sein politisches Engagement aufgab oder dass er nicht mehr von Verständigung, sondern von Rache gesprochen hätte, ganz im Gegenteil. In seiner Rede in Frankfurt 2010 betonte er, wie wichtig es ist, sich weiterhin für Ausgleich einzusetzen, eine friedliche Lösung zu finden.

 

Eine sehr beeindruckende Reflexion über den Tod des Sohnes Uri ist der vielstimmige Text "Aus der Zeit fallen".

 

 

 

 

 

 

 

 

David Grossman: Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Übersetzt von Anne Birkenhauer

Hanser Verlag, 2009, 736 Seiten

Fischer Taschenbuch, 2011, 736 Seiten